Italien:Paarungszeit

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Die Gerüchteküche dampft: Rom im abendlichen Dunst. (Foto: Chris Ratcliffe/Bloomberg)

In Rom wählen jetzt beide Parlamentskammern ihre Vorsitzenden. Welche Parteien dann zusammen eine Regierung bilden, ist nach wie vor völlig offen - inzwischen umwirbt sogar Silvio Berlusconi die Cinque Stelle.

Von Oliver Meiler, Rom

Ein Flimmern liegt auf der Stadt, über den Palästen der Macht, den Redaktionen, den Gesprächen in der Bar. Wenn sich die Macht neu sortiert, atmet Rom fast ausschließlich Politik. Dann reden alle mit. Und jeder analysiert mit dem Brustton des Insiders das Undeutbare, die taktischen Spielchen der Politiker, selbst das rätselhafte Ritual wechselseitiger Hinterhältigkeiten. Die Zeitungen nähren die Diskussionen mit langen "Retroscene". So nennt man Blicke hinter die Kulissen, von denen niemand weiß, wie verlässlich sie tatsächlich sind, obschon die Akteure in den Berichten namentlich aufscheinen und wörtlich zitiert werden. Manchmal ist alles erfunden.

Vor knapp drei Wochen haben die Italiener ein neues Parlament gewählt, und da sie dabei die politische Landschaft gründlich erschüttert haben, ist das Flimmern diesmal besonders stark. Noch immer ist schleierhaft, wie sich eine tragfähige Regierungsmehrheit bilden soll, die auch politisch Sinn ergeben würde. Die Abgeordnetenkammer und der Senat sind in drei Lager geteilt. Die beiden Sieger der Wahlen, die Protestbewegung Cinque Stelle als größte Einzelpartei (32,5 Prozent) und das rechtsbürgerliche Bündnis als stärkste Koalition (insgesamt 37 Prozent), sind je weit entfernt von einer Sitzmehrheit. Der Wahlverlierer wiederum, der sozialdemokratische Partito Democratico (19 Prozent), gibt vor, er sehe sich in dieser Legislaturperiode in der Opposition.

Heißen muss das allerdings noch nichts. Jetzt erst beginnen die großen Manöver. An diesem Freitagmorgen kommen die neuen Parlamentarier zum ersten Mal zusammen, um die Vorsitzenden der beiden Kammern zu wählen - in geheimen Wahlgängen. Wahrscheinlich sind mehrere Runden notwendig. An der Wahl der Parlamentspräsidenten wird man dann vielleicht ablesen können, wie die Partie um die Regierungsbildung ausgehen könnte, die in den nächsten Wochen mit der Vermittlung des Staatspräsidenten ausgetragen wird.

In den vergangenen Tagen gab es mehr oder weniger offene Absprachen zwischen den Fünf Sternen, die für sich den Vorsitz der Camera reklamieren, der Abgeordnetenkammer, und der Rechten, die dafür die Präsidentschaft des Senats erhalten würde. Leuchtet ein: Die halben Sieger teilen sich die wichtigsten Posten im Parlament. Nun könnte man denken, dass jedes Lager den Namen eines der Ihren vorschlägt und der dann glatt gewählt würde. Man hat sich ja schließlich geeinigt. Doch so einfach ist es nicht.

Die Cinque Stelle könnten Roberto Fico ins Rennen schicken, den Chef des orthodoxen Flügels der Bewegung. Fico ist ein "Grillino" der ersten Stunde, wie man die Anhänger des Parteigründers und Komikers Beppe Grillo nennt; er steht eher links. Käme Fico durch, wäre das ein Wink an die Adresse der Sozialdemokraten, damit die es sich trotz aller Vorbehalte noch einmal überlegen und den Cinque Stelle am Ende doch zur Macht verhelfen - irgendwie. Seitdem Matteo Renzi seinen Rücktritt als Vorsitzender eingereicht hat, bröckelt der Widerstand in der Partei. Renzi und die stattliche Abordnung der "Renzianer" im neuen Parlament sind vehement dagegen, weil sie sich dem Chef der Cinque Stelle, Luigi Di Maio, nicht als Juniorpartner andienen möchten. Der hatte sie stets kritisiert. Andere Kräfte in der Partei scheinen aber nun bereit zu sein, mit sich reden zu lassen, wenn der Staatspräsident darum bäte. Aus Opferbereitschaft gewissermaßen, fürs Wohl der Nation.

Die Wahl Ficos würde die Verhandlungen erleichtern. Gleichzeitig wäre sie aber ein Hindernis für ein Zusammengehen der Cinque Stelle mit der rechtsnationalen Lega von Matteo Salvini. In Brüssel und an den Finanzmärkten gilt eine solche Koalition von postideologischen und rechtsextremen Populisten und Europaskeptikern als problematischstes Szenario. Ausgeschlossen ist es nicht, es gibt politische Affinitäten zwischen den beiden Parteien. Dennoch spricht viel dagegen. So fragen sich die Italiener etwa, wie sich die superliberale Idee einer sehr tief angesetzten "Flat Tax", wie sie die Lega propagiert, mit dem mehr oder weniger bedingungslosen Grundeinkommen der Cinque Stelle verträgt. Außerdem: Warum sollte Salvini, der gerade zum Chef des Rechtslagers aufsteigt, den Sekundanten von Di Maio geben? Er ist 45 Jahre alt, er hat Zeit.

Neuwahlen will Berlusconi verhindern - auch aus Sorge um sein Medienunternehmen

Eine ganz andere Agenda verfolgt Silvio Berlusconi, nunmehr 81, und das liegt nicht nur am Alter. Berlusconi möchte erstens verhindern, dass mangels stabiler Mehrheiten bald wieder gewählt würde: Gemäß jüngsten Umfragen müsste er fürchten, dass seine Partei Forza Italia, die am 4. März nur 14 Prozent der Stimmen auf sich zog, noch tiefer fiele und die verlorenen Stimmen allesamt zu Salvini flögen. Der erlebt ein klassisches Momentum. Berlusconis zweite Sorge betrifft sein Medienunternehmen Mediaset, das gerade doppelt bedrängt wird: vom Strukturwandel in der Branche und durch das aggressive Kaufgebaren des französischen Konkurrenten Vivendi. Schwindet sein politischer Einfluss, steht auch das Unternehmen gleich etwas nackter da. Bei Berlusconi flossen die politischen und die privaten Interessen ja immer schon ineinander.

Nun sagt er plötzlich, Di Maio sei "molto bravo". Eine Regierung mit den Cinque Stelle hält er für durchaus machbar, wenn das programmatisch einigermaßen abgestimmt würde. Das ist eine erstaunliche Kehrtwende, gar eine verdächtig barocke: Während des Wahlkampfs hatte Berlusconi die Fünf Sterne täglich mit viel Schimpf bedacht. Wahrscheinlich ist aber ohnehin alles nur ein Bluff, um die Rechte zusammenzuhalten und so im Spiel zu bleiben. Und Salvini macht mit. Er bot Forza Italia den Vorsitz des Senats an, der eigentlich der Lega zustünde. Alles dient der Besänftigung der Gemüter im eigenen Lager: Forza Italia und Lega regieren zwei große Regionen im wirtschaftlich blühenden Norden gemeinsam - die Lombardei und das Veneto. Fiele die Rechte auseinander, würde das wohl auch das Ende dieser erfolgreichen Zusammenarbeit bedeuten. Forza Italia schlägt Paolo Romani für den Senatsvorsitz vor, einen lang gedienten Parlamentarier und früheren Minister.

Doch der passt den Cinque Stelle nicht. Überhaupt ist rätselhaft, wie das gehen soll: Forza Italia mit den Fünf Sternen. Das ist ein Widersinn in jeder Beziehung. Aber wer weiß? Die Manöver beginnen erst, und Rom flimmert.

© SZ vom 23.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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