Italien:Ort des Aufbruchs

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Mehr als 20 Millionen Besucher standen Schlange - unter anderem für Chinas Pavillon, der eine gigantische Lichtinstallation zeigte. (Foto: Chris Ratcliffe/Bloomberg)

Die Weltausstellung Expo in Mailand war ein überraschender Erfolg für den Ausrichter. Am liebsten möchte Italiens Premierminister Matteo Renzi nun den Manager der Ausstellung mit in die Politik einbeziehen.

Von Oliver Meiler, Rom

Episch, gar biblisch. Das Schlangestehen vor den Pavillons der Weltausstellung 2015, der Mailänder Expo zum Thema Welternährung, die nun am 31. Oktober schließt, zog sich wie ein Leitmotiv durch die ganze Veranstaltung. Und wenn die Italiener das Warten auch gewohnt sind von ihren Besuchen auf den Ämtern, so gehörte es doch zu den erstaunlichsten kulturellen Erkenntnissen der Expo, dass sich kaum je jemand beklagt hat. Vor dem japanischen Pavillon, dem populärsten, standen sie auch schon mal 4,5 Stunden an.

Es gab eindrückliche Bilder dieser Warteschlangen, die nun den "großen Erfolg" der Expo illustrieren sollen. So jedenfalls werten es die Italiener und ihr Premier, Matteo Renzi, der das Ereignis mehrmals als Bühne nutzte und schöne Reden hielt auf das wieder erstarkte Italien - das dynamische, das aufstrebende. Bei Renzi schwingt bei aller ansteckenden Euphorie immer auch eine Note Selbstlob mit, wenn er so redet. In diesem Fall ist es gerechtfertigt. Vorausgesagt war ja ein Flop. Bis kurz vor der Eröffnung war nicht klar, ob die Anlage überhaupt rechtzeitig fertig würde. Korruptionsfälle, bürokratische Doppelungen, harzig fließende Fonds - alles hatte so stark auf den Verlauf der Bauarbeiten gedrückt, dass die Medien Mailand eine halbe Katastrophe prophezeit hatten.

Renzi warf sich mit Wucht ins Zeug gegen die Schwarzmaler, obschon er dabei etwas zu verlieren hatte. Er schob viele Zwischenstopps in seine Agenda, um die Expo zu besuchen, was ihm seine Gegner als unnötiges Herumjetten auf Staatskosten auslegten. So warb er unentwegt, er war eine wandelnde Litfaßsäule. Vor allem aber bot ihm die Expo einen hübschen Rahmen für etwas informellere Treffen mit Staats- und Regierungschefs. Es kamen: Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Präsident François Hollande und der anderswo geächtete russische Staatschef Wladimir Putin.

Nach Mailand reisten auch 113 Bürgermeister aus allen Teilen der Welt und setzten ihre Unterschrift unter das Manifest gegen den Hunger in der Welt, die sogenannte Carta di Milano, die nun den Vereinten Nationen überreicht wird. Sie gilt als kulturelles Vermächtnis der Expo, als Konzentrat aus vielen Diskussionsrunden und Konferenzen. Und sie soll nebenbei jene Kritiker besänftigen, die den Veranstaltern vorwerfen, eine Gastrokirmes organisiert zu haben statt dem Motto "Den Planeten ernähren, Energie für das Leben" zu entsprechen. Doch bei aller Kritik: Viele Millionen Menschen beschäftigten sich mit dem Thema. Am Ende wird Renzi behaupten können, er habe in seiner Amtszeit einen Großanlass ohne nennenswerte Zwischenfälle gestemmt. Allen Vorurteilen zum Trotz.

Etwas mehr als 20 Millionen Tickets wurden verkauft, mehr also als das Minimalziel, obschon die ersten Monate eher eine Enttäuschung gewesen waren. Zum Schluss gab es Tickets zum Vorzugspreis, Gratiskarten auch, und die Mailänder Hotels senkten ihre Preise. Viele Schulklassen reisten an, Gruppen von Pensionären, Architekturinteressierte, Gastronomie-Freunde. Etwa ein Drittel der Besucher kam aus dem Ausland. Mailand, glauben wenigstens die Mailänder Leitartikler, habe sich der Welt wieder einmal als "moderne", "effiziente", "elegante" Metropole präsentiert. Das ist nur eine kleine Auswahl der gewählten Adjektive. Renzi will die Expo als Beleg dafür verstanden wissen, dass ganz Italien Erfolg haben könne, wenn es nur an die eigenen Stärken glaube, nie resigniere. Er sieht darin eine "Rampe für den Neustart". So klingt "Renzismus", es ist eine Art Dauermotivationstraining.

Eine "Rampe für den Neustart": Auf dem Gelände könnte ein neuer Uni-Campus entstehen

Sein Sonderkommissar für die Expo, Giuseppe Sala, wird jetzt mit Jobangeboten aus der Wirtschaft überhäuft. Er gilt als Troubleshooter, der auch in der Politik einen guten Manager abgeben könnte. Ginge es nach Renzi, würde Sala im kommenden Frühjahr für die Linke bei der Mailänder Bürgermeisterwahl kandidieren. Seine Chancen stünden gut, zumindest im Volk, schließlich hat er der Stadt einen Flop erspart, eine brutta figura. So schnell wachsen politische Karrieren in Italien.

Völlig unklar ist indessen, und auch das ist Italien, was aus dem großen, nach Milliardeninvestitionen mit Metro, Bahn und Auto nachgerade ideal erschlossenen Gelände der Expo vor den Toren Mailands geschehen soll. Die 140 Pavillons der Gastländer werden alle abmontiert und zerlegt, verschifft oder entsorgt. Auch der deutsche Pavillon aus Leichtbauelementen, der 2,5 Millionen Besucher empfing, wird auseinandergebaut und zu einem großen Teil recycelt. Bleiben wird hingegen der Palazzo Italia, der Pavillon des Gastgebers. Bleiben werden die Bürogebäude. Bleiben wird auch, wie man erst vor einigen Tagen erfuhr, der "Albero della vita", der Baum des Lebens, eine Großkonstruktion aus Stahl und Holz, 37 Meter hoch, der zum meistfotografierten Sujet der Expo wurde. Mehr als 14 Millionen Besucher harrten bis zum Abend aus, um dem Lichtspektakel beizuwohnen, das man sich für den Baum ausgedacht hatte. Kitschig, aber wirkungsvoll.

Am weitesten ist die Idee gediehen, auf dem Gelände der Expo einen großen Universitätscampus für 20 000 Studenten der Università Statale einzurichten, die alle ihre technologischen Fakultäten aus dem Zentrum an die Peripherie umsiedeln würde. Man träumt schon von einem "MIT all' italiana", von einer italienischen Version der amerikanischen Eliteuniversität Massachusetts Institute of Technology. Als städtebauliche Modelle dienen der Technologiepark Adlershof in Berlin und das "Silicon Roundabout" in London. Der italienische Staat will sich mit der Privatwirtschaft zusammentun, die Universität mit der Unternehmerwelt verlinken. So soll ein Klima entstehen, in dem auch Start-ups gedeihen können. Mailand, so dringt es aus den vielen Grundsatzartikeln in der Mailänder Zeitung Corriere della Sera, soll in der Zeit nach der Expo noch stärker zu "Italiens Motor" werden, das Land inspirieren und antreiben.

Nur ist man mal wieder spät dran. Noch gibt es keinen Fahrplan, keinen Pakt unter den Institutionen. Noch ist die Gefahr real, dass die Anlage bald Rost ansetzt, auch der Baum des Lebens.

© SZ vom 27.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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