Italien:Neunzehn von Einhundertsechzigtausend

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Auf nach Schweden: Ein Eritreer verabschiedet sich in Rom von Italien. Er gehört zu den Ersten, die nach der EU-Vereinbarung in andere Länder gebracht werden. (Foto: Andreas Solaro/AFP)

Aus Italien sind die ersten Flüchtlinge abgeflogen, die die EU auf andere Länder verteilt. Es ist viel von Solidarität und Symbolkraft die Rede. Die Flüchtlinge selbst sagen wenig.

Von Oliver Meiler, Ciampino

Die Italiener haben einen besonders schönen Hangar gewählt, jenen der Vigili del fuoco, der Feuerwehr, Abteilung Hubschrauber. Moderne Anlage, glänzende Böden, helle Halle. Groß genug für ein Grüppchen junger Eritreer in einer Ecke und viele, sehr viele geladene Medienleute hinter einem roten Trennband. Die Anordnung erinnerte an ein Gehege, aber so war es natürlich nicht gemeint. Im römischen Flughafen Ciampino begann die erste Umsiedlung von Flüchtlingen - von Italien nach Schweden. Es war eine kleine, symbolische Premiere mit nur 19 Umzusiedelnden. Ein Anfang eben, immerhin.

Doch man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, die Europäische Union wolle sich da mit hübschen Bildern selber Mut machen, dass bald Hunderte, Tausende, Zehntausende Flüchtlinge folgen würden. Am Ende des Umsiedlungsprogramms, in zwei Jahren, sollen ja 160 000 Flüchtlinge, die im Süden des Kontinents angekommen sind, vorwiegend in Italien und in Griechenland, in den Norden Europas verlegt worden sein. Das ist der Plan, noch mutet er wie eine Illusion an.

Da saßen sie also, die ausgewählten Eritreer, auf Stühlen hinter dem roten Trennband, 15 Männer und vier Frauen mit glücklichen Gesichtern und orangefarbenen Bändern um den Hals. Wahrscheinlich sollte man sie dank dieser Bänder besser von den Übersetzern und den eritreischen Mitarbeitern der Flüchtlingshilfswerke unterscheiden können. Die große Medienpräsenz schien sie zu verwundern und belustigen - nach dem Drama ihrer Flucht.

Vor einigen Wochen erst hatten sie nach einer gefährlichen Überquerung des Mittelmeers Lampedusa erreicht, den südlichsten Außenposten Europas. Im "Hotspot" der Insel, wo die administrativen Dienste nunmehr zusammengefasst sind, wurden sie registriert und identifiziert, samt Fingerabdrücken. Das sind die minimalen Bedingungen, wenn sich ein Flüchtling für das Umsiedlungsprogramm der EU bewerben will. Manche Flüchtlinge wollen das aber nicht, weil sie befürchten, dass sie dann nie dort ankommen werden, wo sie gerne hinziehen würden, wo sie Familie haben, oder Aussicht auf Arbeit. Im Umverteilungsprogramm lässt die EU die Flüchtlinge das Land nicht wählen, sie weist es zu. Schweden hatte sich als erstes Land dazu bereit erklärt, Flüchtlinge aufzunehmen und richtete sich auch entsprechend ein.

Es gab offenbar auch einige, die auf die Reise lieber verzichteten

Offenbar gab es in der ursprünglichen Gruppe von Eritreern, die an der Premiere teilhaben sollte, auch solche, die nicht nach Schweden wollten und auf die Reise verzichteten. Wo Salomon am liebsten hingefahren wäre, wird die Öffentlichkeit wohl nie erfahren. Salomon ist 33 Jahre alt, ein schüchterner Mann. Vor der Presseschar im Hangar von Ciampino sagte der Eritreer, er sei sehr "happy", nach Schweden reisen zu dürfen. Familie habe er dort zwar keine, doch er wolle in Schweden studieren, sein Leben neu arrangieren.

Dann wurde die kleine Gruppe zum Flugzeug begleitet, das die italienische Regierung zur Verfügung stellte, reihte sich da noch mal auf für Bilder mit den Politikern: Italiens Innenminister Angelino Alfano war da, EU-Innen- und Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos sowie der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn, als Vertreter des Landes, das die EU-Ratspräsidentschaft innehat. Vor allem Alfano schien den Moment zu genießen. Der Sizilianer gestikulierte generös, klopfte den Flüchtlingen jovial auf die Schultern. Als die Maschine dann in den verhangenen Himmel Roms abgehoben war, sagte Alfano: "Dieses Flugzeug ist ein Symbol des Siegs." Im Oktober 2013, als vor Lampedusa mindestens 300 Flüchtlinge ums Leben kamen, habe Resteuropa Italien allein gelassen - "alleine mit einer großen Tragödie". Nun, im Oktober 2015, genau zwei Jahre später, leuchteten Europas Ideale wieder. Nicht zuletzt, wie Alfano anmerkte, weil Italien es mit seiner Rettungsaktion Mare Nostrum daran erinnerte.

Der Luxemburger Asselborn formulierte den Gedanken aus: "Wir haben bewiesen, dass Europa nicht nur Finanzkrise und Migrationskrise heißt", sagte er, "Europa meint auch, dass wir die Kraft und den Willen haben, diese Krisen zu lösen." Gleich doppelt zufrieden war Avramopoulos. Einmal als Grieche, der seinem Land dabei hilft, einen Teil der Migrationslast auf andere Länder zu übertragen. Dann als Kommissar, dem es gelang, die Partnerstaaten vom Prinzip der Solidarität zu überzeugen. Zumindest die meisten. "Es war harte Arbeit", räumte er ein. Und es bleibt hart. Noch sind die Widerstände in einigen Ländern groß. Noch gebricht es mancherorts an Solidarität, aller Beschwörung gemeinsamer Werte zum Trotz. Doch was heute zähle, sagte Avramopoulos, sei dieses Signal der Hoffnung, dieses abgehobene Flugzeug mit den Eritreern, diese Gewissheit, dass Europa den Schutzbedürftigen auch Schutz biete.

Kommende Woche sollen weitere hundert Flüchtlinge aus Italien und Griechenland umgesiedelt werden, nach Deutschland und in die Niederlande. Nimmt der Rhythmus aber nicht bald Fahrt auf, dann wandelt sich das Ziel von 160 000 Umzusiedelnden schnell zur Utopie.

© SZ vom 10.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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