Italien:Kunst-Rausch

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(Foto: Van Gogh Museum/dpa)

Im Haus eines italienischen Drogenhändlers werden zwei geraubte Van-Gogh-Gemälde sichergestellt.

Von Oliver Meiler

Eingerollt in ein profanes Stück Stoff, verstaut unter einem doppelten Boden - dem Staunen der Welt entzogen. Als die Guardia di Finanza, die Finanzpolizei, in einem unscheinbaren Haus in Castellammare di Stabia bei Neapel zwei Gemälde von Vincent van Gogh fand, bewahrheitete sich ein altes, nie ganz für möglich gehaltenes Gerücht: Die Camorra, Italiens derbste Mafia, mag große und feine Kunst. Zumindest als Anlage. Und diese beiden Ölgemälde, "Die Kirche in Nuenen mit Kirchgängern" aus dem Jahr 1884 (Foto rechts) und das "Meer bei Scheveningen" (1882) sind ein stattliches Investment: Ihr Gesamtwert wird auf 100 Millionen Dollar geschätzt. Vierzehn Jahre lang hat man nach ihnen gesucht. Überall, aber wohl nicht am Fuß des Vesuvs.

Im Dezember 2002 waren die beiden Werke in einer spektakulären und merkwürdigen Operation aus dem Amsterdamer Van Gogh Museum gestohlen worden. Den Kunsträubern fiel es offenbar leicht, alle Alarmsysteme zu umgehen. Sie stiegen mit einer Leiter aufs Dach, seilten sich von dort ab, schlugen eine Fensterscheibe ein, entwendeten die kleinformatigen Gemälde im großen Ausstellungssaal und entkamen. Die Leiter ließen sie stehen, ans Museum gelehnt. Wie ein Kinderspiel sah es aus. Wie und wann die Bilder dann zu Raffaele Imperiale gelangten, dem das Haus mit dem doppelten Boden gehört, ist noch nicht klar. Wahrscheinlich wurden sie ihm auf dem großen Schwarzmarkt mit geraubten Kunstwerken angeboten. Weniger wahrscheinlich ist, dass er es war, der den Diebstahl in Auftrag gegeben hatte.

Imperiale ist ein mächtiger Drogenbroker der Camorra, ein großer Kokainhändler zwischen den Welten. Er verschiebt den Stoff aus Südamerika, wo er überall Verbündete hat, nach Europa und wäscht das Geld vorzugsweise in Immobilien am Golf. Als ihn die Justiz zum Prozess lud, gab er seine Verteidigungsschrift in Dubai auf, seinem Wohnsitz, seit er auf der Flucht ist. In den Emiraten, so schreibt es die Zeitung La Repubblica, lässt Imperiale Villen bauen, die je zwanzig Millionen Euro teuer sein sollen. Seine Schwäche für Kunst galt seit einigen Jahren als Stadtlegende. Ein Kronzeuge wies nun den Weg zum Haus in Castellammare di Stabia, dem Heimatort Imperiales. Die Polizei beschlagnahmte auch ein Kleinflugzeug und ein Boot, die schon eher zum Bild passen, das man sich vom Milieu der Camorra macht.

Immerhin, die Werke des Meisters sind in einem recht guten Zustand, obschon sie wie Kritzelwerk verpackt waren - ohne Rahmen, einfach nackt. Das Bild der Kirche von Nuenen, 41 auf 32 Zentimeter groß, muss dem Künstler besonders am Herz gelegen haben, da sein Vater, ein protestantischer Pfarrer, in diesem Haus predigte. Gemalt hat er es für seine Mutter. Außer einigen kleinen Kratzern ist es noch so, wie es immer war. Das erklärt auch, warum der Museumsdirektor, Axel Rüger, der für die Pressekonferenz schnell aus Amsterdam eingeflogen wurde, mit den Uniformierten der Guardia di Finanza um die Wette strahlte. "Ja, es sind unsere", sagte er, nachdem Experten die Werke auf ihre Echtheit untersucht hatten. Er hoffe, dass sie bald wieder da hängen würden, wo sie hingehörten, vierzehn Jahre danach. Für die Welt, für alle, fürs Staunen.

© SZ vom 01.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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