Italien:Keilerei um den Keiler

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Wildschweine ziehen zu Hunderttausenden durch die Toskana, verwüsten dabei Felder und Weinberge. Bauern wollen die Tiere nun abschießen - doch das ist gar nicht so leicht.

Von Oliver Meiler

Wer schon mal an einer toskanischen Tafel vor einem halben "Cinghiale" saß, das eingelegt ist in Rotwein, gebettet in Karotten, Zwiebeln und Sellerie, verfeinert mit Rosmarin, Thymian, Salbei und Wacholderbeeren, der vergisst leicht, was da unter unverdächtigem Namen den Gaumen erfreut: Im Italienischen klingt das Wildschwein nicht nur viel schöner - wahrscheinlich mundet es in Italien auch besser als anderswo. Die "Pappardelle al cinghiale", diese etwas breiteren Nudeln an einem Ragout mit gar gekochten Stücken des Schweins, sind so etwas wie die gehobene Form der "Spaghetti alla bolognese". Fast überall in Italien schafft es das Sus scrofa, wie die Lateiner das wilde Schwein nannten, auf die Speisekarten. Die toskanische Küche aber ist ohne "Cinghiale" kaum denkbar. Auch in Wurstform oder als Paté, auf ungesalzenem Brot.

Sehr beliebt ist das Tier allerdings nicht, lebend wenigstens; es wandelt sich gerade sogar zum problematischsten Mitbewohner des Landes, zumindest unter den vierbeinigen. In den vergangenen 15 Jahren hat sich die Zahl der Wildschweine in Italien mehr als verdreifacht, von etwa 300 000 auf eine Million. Ungefähr die Hälfte davon, eine halbe Million, lebt in den Naturreservaten und den Wäldern der Toskana. Das ist auch deshalb erstaunlich, weil es dort Anfang der Neunziger fast keine mehr gegeben hatte: Die intensive Bewirtung des Agrarlandes hatte sie verdrängt. Nun sind sie zurück, und - na ja - sie rächen sich an den Bauern. Sie ziehen in Großfamilien über die Felder, die bulligen Keiler meist vorneweg, und nehmen sich, was sie da finden: Mais, Weizen, Gras, Sonnenblumen, Früchte. Auch die Weinberge des Chianti sind nicht mehr sicher. Die Wildschweine pflügen dabei die Felder regelrecht um. Besonders schlimm wüten sie, wenn sie in den Wäldern nicht genügend Nahrung finden. Der Schaden ist immens.

Die toskanischen Bauern sind darob so verärgert, dass sie die Regierung nun aufgefordert haben, mindestens die Hälfte der Tiere, 250 000 also, sofort zum Abschuss freizugeben. Und sie wollen selber zum Gewehr greifen dürfen, sobald sie Spuren einer Herde auf ihrem Land finden - nicht nur zur Jagdzeit, sondern 365 Tage im Jahr. "In der Toskana", sagte ein Bauer der Zeitung La Repubblica, "gibt es 442 788 Schafe und Ziegen, die uns Milch und Käse bringen. Die Wildschweine zerstören - und sonst nichts." Für das wilde Jagen bräuchte es aber ein neues Gesetz, das die Befugnisse der Landwirte ausweitet. Die Jäger sind natürlich dagegen, weil es ihr Geschäft schmälern würde. Ganz zu schweigen von den Tierschützern.

Doch die Wildschweine haben auch einen schweren Stand, seit es immer mal wieder zu tödlichen Begegnungen zwischen Mensch und Tier kommt, vor allem auf Überlandstraßen. Die Bürgermeisterin von Ancona machte mal Schlagzeilen mit der These, man müsse die Tiere "mit dem Flammenwerfer ausrotten". Ein Wildschwein ist halt kein Hirsch, und schon gar kein Reh. Auf den Speisekarten aber wird es wohl bald noch prominenter vertreten sein. In der südtoskanischen Maremma übrigens versetzen sie den "Cinghiale" mit etwas Essig - eine feine saure Note, wunderbar.

© SZ vom 09.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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