Italien:Hilfe von ganz oben

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Innenminister Salvini will einem Schiff der Küstenwache die Landung in italienischen Häfen verwehren, weil Flüchtlinge an Bord sind. Dann greift der Präsident ein und verweist den starken Mann der Regierung in die Schranken.

Von Oliver Meiler, Rom

Die Italiener lernen in diesen Wochen der politischen Kraftmeiereien ihrer neuen Regierung die Namen vieler Schiffe kennen, die da im Mittelmeer kreuzen. Aquarius, Lifeline, Open Arms etwa, alles Schiffe privater Hilfsorganisationen. Es sind Namen wie Chiffren. Für Matteo Salvini, den Innenminister von der rechtsextremen Lega, sind es wohl kleine Trophäen. Er hat sie alle daran gehindert, mit geretteten Flüchtlingen in italienischen Hafen anzulegen. Wäre es nach Salvini gegangen, hätte nun auch die Diciotti mit 67 Migranten nicht in Sizilien anlanden dürfen, und das ist natürlich ein Fall mit fast grotesken Konturen. Die Diciotti ist nämlich ein Einsatzschiff der nationalen Küstenwache, der Guardia Costiera. Wer da an Bord geht, ist schon in Italien. Und doch brauchte es jetzt ein Machtwort von Staatspräsident Sergio Mattarella, um den Fall zu lösen.

"No Libya, no Libya", rufen einige Gerettete. Dann drohen zwei Passagiere mit Gewalt

Die Akte Diciotti ist ein Exempel. Ihren Lauf nimmt sie am vergangenen Sonntag, vor der Küste Libyens. Ein Gummiboot mit 67 Migranten gerät in Seenot. Das Schleppschiff Vos Thalassa, italienisch beflaggt und von Holländern betrieben, eilt ihnen zur Hilfe, wie es das Seerecht befiehlt. Die Vos Thalassa ist kein Rettungsboot. Sie steht im Dienst des französischen Energiekonzerns Total, der in der Gegend nach Öl und Gas bohrt. Die Migranten gehen an Bord. Als sie merken, dass der Kapitän Kurs auf Libyen nimmt, wo sie davor in Lagern festgehalten worden waren, statt auf Italien, wo sie alle hinwollen, wehren sich einige: "No Libya, no Libya", sagen sie. Zwei Passagiere drohen der Crew, gewalttätig zu werden, wenn sie nicht umkehre. Die Besatzung kehrt um und ruft die italienische Küstenwache zur Hilfe. Die übernimmt die Migranten.

Dann tritt Salvini auf. Er sagt, er werde nicht zulassen, dass diese "Piraten", diese "Kidnapper", in Italien anlegen. Wie er redet, hört es sich so an, als hätten alle 67 Migranten gemeutert. Seine Kollegen Verteidigungsminister und Transportminister von den Cinque Stelle werfen Salvini vor, er überschreite seine Kompetenzen, Küstenwache und Häfen seien ihr Beritt. Auch Luigi Di Maio, der Chef der Fünf Sterne und Vizepremier wie Salvini, lässt ausrichten, einem Schiff der italienischen Küstenwache könne Italien seine Häfen nicht verwehren. Doch das kümmert Salvini nicht. Am Donnerstag fährt die Diciotti Trapani auf Sizilien an, während er in Innsbruck mit europäischen Amtskollegen über Migrationspolitik spricht. "In Handschellen" müssten die Meuterer abgeführt werden, sagt er, er wolle Vornamen und Nachnamen der Verbrecher. Ins Gefängnis gehörten sie, sonst gehe kein einziger Passagier von Bord der Diciotti, dafür sorge er. Man macht Salvini darauf aufmerksam, dass die Justiz in Italien eine unabhängige Instanz sei, sie entscheide über das Abführen in Handschellen und über das Verwahren in Gefängnissen. Salvini bleibt unnachgiebig. Den ganzen Tag liegt die Diciotti im Hafen von Trapani und darf die Landungsbrücke nicht herunterlassen. Dann geschieht, was in Italien nur sehr selten vorkommt: Der Präsident der Republik schaltet sich ein. Sergio Mattarella ruft Giuseppe Conte an, den Premier, und fragt nach der Situation auf der Diciotti.

Zwei Fernsehteams filmen aus der Ferne, als ein Sudanese und ein Ghanaer das Schiff verlassen

Nun geht es plötzlich ganz schnell. Conte ordnet an, die Migranten an Land zu lassen. Donnerstagnacht, 23 Uhr. Zwei Polizeiautos mit Blaulicht warten am Pier, die Fernsehteams filmen aus der Ferne. Ein Sudanese und ein Ghanaer verlassen die Diciotti als erste und werden von den Beamten zum Kommando begleitet, ohne Handschellen. Man wirft ihnen vor, sie hätten die Crew der Vos Thalassa bedroht, von Entführung spricht niemand mehr.

Das dramatische Blaulicht war wahrscheinlich eine Bedingung Salvinis gewesen: Die Italiener sollten sehen, dass er nicht klein beigibt, dass er seine harte Linie durchzieht. Die italienischen Medien berichten, Salvini sei sehr erzürnt gewesen über Mattarellas Eingreifen. Offiziell heißt es, er sei darüber "erstaunt". Es ist das erste Mal, dass sich jemand Salvini in den Weg stellt, seit der als Innenminister die ganze Regierung prägt und beherrscht. Die Cinque Stelle hatten die Kraft dazu bisher nicht. Es brauchte die Hilfe von ganz oben.

© SZ vom 14.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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