Italien:Die Zukunft steht in den Sternen

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Seltener Auftritt: Der verstorbene Gianroberto Casaleggio wirkte lieber hinter den Kulissen. (Foto: Gregorio Borgia/AP)

Sie ist erfolgreich wie nie, aber nach dem Tod des Mitbegründers Gianroberto Casaleggio braucht die italienische Protestbewegung Cinque Stelle neue, charismatische Anführer.

Von Oliver Meiler, Rom

Die Italiener haben diese rührende Angewohnheit, ihren prominenten Toten Elogen hinterherzusingen, wahre Verklärungen. Sie tun das selbst dann, wenn der letzte Blick auf das öffentliche Wirken des Verschiedenen auch einige kritische Zwischentöne verdiente. So war das nun auch bei Gianroberto Casaleggio. Der Mitbegründer des Movimento Cinque Stelle, Europas erfolgreichster Protestpartei, war ein origineller, aber auch mysteriöser Akteur der italienischen Politik. Zu Lebzeiten kursierten zahlreiche Legenden über die Verschrobenheit dieses Informatikers, der die Fünf-Sterne-Bewegung zusammen mit dem Komiker Beppe Grillo erfunden hatte und anführte. Man unterstellte Casaleggio, er habe an Kontrollwahn gelitten, habe die Parlamentarier der Partei ausspioniert, ihre Mails und SMS gelesen. In der Bezeichnung "Guru", die ihn begleitete, schwang das Sektiererische mit, das seinem Führungsstil anhing. Dazu passte, dass er sich kaum öffentlich zeigte.

Zur Trauerfeier erschien ein großer Teil des Establishments

Als Gianroberto Casaleggio vor einigen Wochen im Alter von 61 Jahren nach langer Krankheit starb, erhob sich in allen Medien ein lauter Lobgesang auf den "Propheten", den "Innovator", den "Modernisierer" der italienischen Politik. Er sei der "Rousseau der Gegenwart" gewesen, hieß es auch, weil er die direkte Demokratie auf eine neue Ebene gehoben habe: Im Netz können die Anhänger der Cinque Stelle ihre Wahlkandidaten küren und über Abstimmungsvorlagen mitentscheiden. Alle Kritik war weg, wie weggewischt.

Zur Trauerfeier in Mailand erschien ein schöner Teil des Establishments. Die Kameras zoomten einige junge Herrschaften näher heran, die feurigsten Jünger des "Gurus". Sogar ihre Tränen wurden politisch gedeutet. Herangezoomt wurde aber auch Sohn Davide, 39 Jahre alt, Partner in der Firma, die hinter allen Internetaktivitäten der Partei steht. Von "Casaleggio jr." heißt es, er sei der Kopf hinter den Algorithmen, gescheit wie der Vater, aber auch genauso reserviert. Der Gelobte ließ zwar schnell ausrichten, er habe keine politischen Ambitionen. Doch die Porträts in den Zeitungen gerieten so ausführlich, dass man den Eindruck gewann, die Macht gehe da still über auf den Sohn, wie in einer Dynastie. Von wegen Rousseau.

Was wird nun aus den Fünf Sternen? Der Tod Casaleggios trifft die Bewegung in einem heiklen Moment. Glaubt man den Umfragen, dann liegt sie in der Wählergunst nur noch etwa drei Prozentpunkte hinter dem Partito Democratico von Premier Matteo Renzi. Gäbe es eine Stichwahl zwischen beiden Parteien, wie es das neue Wahlgesetz vorsieht, würden die Cinque Stelle wahrscheinlich gewinnen. In Rom, wo im Juni ein neuer Bürgermeister gewählt wird, gilt die Kandidatin der Bewegung, die junge Anwältin Virginia Raggi, als hohe Favoritin auf den Sieg. Es wäre ein Sieg mit maximalem Symbolwert, der bisher größte der Bewegung. Es ist also durchaus relevant, wie es weitergeht.

Natürlich wäre es naheliegend, dass Grillo nun in den Vordergrund träte, um die Lücke zu füllen. Doch der hat sich stark zurückgezogen. Sein Name figuriert nicht mehr im Logo der Partei, sein Blog, lange Zeit Essenz und Plattform der Bewegung, wird umbenannt. Grillo selber sprach von einem "Schritt zur Seite", er sei "ein bisschen müde". Er tourt stattdessen wieder durch Italien, wie er das früher tat. In seiner neuen One-Man-Show "Grillo vs Grillo" tritt der Komiker Grillo gegen den Politiker Grillo an, als wollte er sein altes Leben zurückgewinnen. Trennen lassen sich die beiden Rollen aber nicht mehr. Und so wird in seinen Shows viel weniger gelacht als früher. Nun fordern ihn seine Weggefährten auf, politische Verantwortung zu übernehmen, die Partei zusammenzuhalten - wenigstens für die Übergangszeit.

Das ist gar nicht so einfach, denn die ganze Geschichte der Partei lebte vom Zusammenspiel des Duos Casaleggio & Grillo. Der introvertierte Unternehmer, der seinen Gesprächspartnern nie in die Augen schaute, gab den Denker im Hintergrund, während der Komiker als charismatischer Tribun über die Bühne fegte. Grillo konnte poltern und provozieren, wie es ihm beliebte, und verwirrte damit viele Fans. Casaleggio sorgte dann jeweils über die sozialen Foren und über den Blog für die ideologische Klammer, die das heterogene, wild aus der Zivilgesellschaft zusammengewürfelte Movimento irgendwie fasste. Er orientierte sich dabei nicht am Links-Rechts-Schema, sondern bediente sich mal beim einen, dann wieder beim anderen Gedankengut. Mal wetterten die Cinque Stelle gegen Europa und den Euro, wie das die rechtsextreme Lega Nord tut. Mal zeigten sie sich in einer gesellschaftspolitischen Frage so progressiv wie die Linke. Das war wohl postmodern, brachte Wähler aus allen Lagern.

Vor Allianzen scheuen die Fünf Sterne zurück, obwohl es die Sache oftmals rechtfertigen würde zu koalieren. Und auch darin erkannte man bisher die Handschrift Casaleggios, der außer seinem inneren Zirkel niemandem wirklich zu trauen schien. Er befürchtete, dass seine Bewegung den Ruf verlieren könnte, anders zu sein als der Rest, die verhasste "Kaste", das "System", die "Elite". Dieser Ruf ist das Kapital der Cinque Stelle. Damit wurden sie groß in einem Klima der Politikverdrossenheit. So gewannen sie 2013 auf Anhieb 25,5 Prozent der Stimmen, verteilt über das ganze Land, und 163 Parlamentssitze.

Skandale haben zwar seither auch ihre Reihen erschüttert. Casaleggio & Grillo warfen Dutzende Parlamentarier aus der Partei, weil sie sie für illoyal hielten. Doch im Gegensatz zu anderen politischen Formationen ist das Movimento Cinque Stelle noch recht unbefleckt. Es hat mittlerweile auch eine Reihe landesweit bekannter Persönlichkeiten hervorgebracht, denen man zutraut, in Zukunft eine nationale Rolle spielen zu können, etwa Luigi Di Maio, angehender Jurist aus Süditalien und mit 29 Jahren der jüngste Vizepräsident, den das italienische Abgeordnetenhaus jemals hatte. Viel geleistet hat er zwar noch nicht. Doch Beppe Grillo hält viel von dem jungen Mann, der in Talkshows gemäßigt herüberkommt. Er traut ihm zu, dem Land dann einmal auch als Premier vorzustehen.

Di Maio hält auch nicht gerade wenig von sich selbst: "Ich fühle mich wie Superman, der gerade entdeckt, welche Kräfte in ihm stecken", sagte er einmal. Nach dem Tod des "Gurus" drohen nun Querelen um die Macht, wie es sie in jeder etablierten Partei gibt. Die Cinque Stelle haben sich mittlerweile auch ein fünfköpfiges Direktorium gegeben, in dem die wichtigsten Exponenten sitzen, Di Maio natürlich auch. Es ist also möglich, dass ein Stück direkte Demokratie dem Entscheidungszentralismus geopfert wird. Vielleicht ist das ja nötig. Nur käme der Bewegung dann ihre Originalität abhanden, ihr ganzes Kapital.

© SZ vom 29.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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