Italien:Der Traum im Süden

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So nah und noch so fern: die Insel Sizilien, im Hintergrund. (Foto: Tony Gentile/Reuters)

Die Regierung in Rom zieht einen alten Plan aus der Schublade: eine Brücke von der Küste des Festlands bis zur Insel Sizilien.

Von Oliver Meiler, Neapel

Die Distanz ist zu kurz, als dass man nicht von einer Brücke träumen könnte. Seit 150 Jahren. Nur 3,6 Kilometer trennen das italienische Festland von der Insel Sizilien, die Städte Reggio Calabria und Messina. Eine Meerenge nur. Die Gestade beider Seiten spiegeln sich über dem Wasser, überlagern sich in einer optischen Täuschung. So nahe liegen sie, so greifbar nahe. Doch Geologen, Umweltschützer und Ökonomen haben Vorbehalte. Und viele Sizilianer wollen nicht, dass ihre Scholle ans Festland dockt.

Nun hat das italienische Parlament überraschend entschieden, das oft schon archivierte Projekt einer Hängebrücke über der Meerenge von Messina wieder aus der Schublade zu ziehen. Die Initiative ergriff Italiens Innenminister Angelino Alfano, ein Sizilianer. Neu ist, dass die Prüfung diesmal nur eine Brücke für die Eisenbahn vorsieht. Autos, Busse und Lastwagen hingegen müssten weiter mit der Fähre übersetzen, getrieben von starken Strömungen, auch von schnellen Winden. Wenn man bedenkt, dass es schon Zweifel gab, ob eine Brücke für Bahn und Auto, wie sie im vorläufig letzten Projekt geplant war, rentieren würde, scheint dieser neue Versuch allein für die Bahn noch abenteuerlicher zu sein.

Die Zeitungen kommentieren den Beschluss ungläubig und belustigt. Der Corriere della Sera schreibt: "Was wäre die italienische Politik ohne ihre Versprechen und Illusionen." Das Blatt aus Mailand erinnert daran, dass schon Benito Mussolini, mitten in den Wirren des Zweiten Weltkriegs, einmal sagte: "Nach dem Sieg werde ich eine Brücke über die Meerenge von Messina werfen." Es kam anders. Besonders weit trieb die Pläne dann ein halbes Jahrhundert später ein anderer Italiener mit Hang zur großen Geste: Silvio Berlusconi ließ Bauprofile aufstellen, damit man ihm glaubte. Sechs Milliarden Euro sollte die Brücke kosten, sie sollte die Wirtschaft des Südens befeuern, den Tourismus fördern. Wieder kam es anders.

Vor zweieinhalb Jahren brach dann die Regierung von Premier Mario Monti, nie ein Freund des Extravaganten, den Vertrag mit dem Baukonsortium aus Berlusconis Zeiten. Das Unternehmen hatte dem Staat schon Rechnungen für 300 Millionen Euro gestellt und forderte 670 Millionen Schadenersatz. Käme der Staat nun auf seinen Entscheid zurück, zöge das Konsortium die Klage wieder zurück. Von Ministerpräsident Matteo Renzi heißt es, er habe sich zuletzt mehrmals mit den Klägern getroffen, im kleinen Rahmen. Man sucht nach Wegen. Und tischt die Brücke wieder auf.

Überrascht war auch Graziano Delrio, Italiens Transportminister. Er ließ ausrichten, er habe dringendere Prioritäten, das Land habe andere Infrastrukturen nötiger. Gerade im Süden Italiens muss das Transportnetz modernisiert werden. Da gibt es die ewige Baustelle der A3, der Autobahn zwischen Salerno und Reggio Calabria, der Hauptachse im Mezzogiorno. Die Arbeiten haben vor 49 Jahren begonnen und dauern noch immer an: infiltriert von der Mafia, mit Baustellen alle paar Kilometer, bröckelnden Brücken, schlecht ausgeleuchteten Tunnels. Prekär sind im Süden auch die Bahnverbindungen, während Italiens nördliche Städte fast alle ans Hochgeschwindigkeitsnetz angeschlossen sein. Die Linie von Neapel nach Bari, am Absatz des Stiefels, harrt seit Jahren einer Modernisierung. Die Bahnverbindung zwischen der apulischen Hafenstadt Taranto und Reggio Calabria, 470 Kilometer entlang der Sohle des Stiefels, verläuft auf 90 Prozent der Strecke auf nur einem Gleis.

Die Linie zwischen Messina und Palermo ist ebenfalls erst zur Hälfte zweigleisig. Die Zeit, die man als Reisender auf einer spektakulären Hängebrücke über der Meerenge von Messina gewinnen würde, verlöre man danach ganz unspektakulär ruckelnd auf einem unvollendeten Schienennetz auf dem Land. Um von Palermo nach Catania zu kommen, quer durch Sizilien, braucht der Passagier sechs Stunden, eine halbe Weltreise.

© SZ vom 01.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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