Nahost:Wie Israel Flüchtlinge aussperrt

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Besuch an der Grenze: Israels Premier Benjamin Netanjahu (Foto: dpa)
  • Israel will Flüchtlinge aus dem benachbarten Syrien mit einem neuen Grenzwall an der Grenze zu Jordanien an der Einreise hindern.
  • Die Opposition und die Dachorganisation der Holocaust-Überlebenden fordern, zumindest eine begrenzte Zahl von Flüchtlingen ins Land zu lassen.
  • Dem Vorschlag von Palästinenser-Präsident Abbas, das Westjordanland für palästinensische Flüchtlinge zu öffnen, erteilte Israel eine Absage.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Der Regierungschef ist eigens zur Grenze geeilt, um den Bulldozern bei der Arbeit zuzuschauen. "Wir werden Israel mit Zäunen umgeben", versprach Benjamin Netanjahu zu Wochenbeginn, "damit wir in der Lage sind, unsere Grenzen zu kontrollieren." Der neueste Sperrwall entsteht gerade an den Übergängen nach Jordanien - und gegen wen dieser Zaun gerichtet ist, das hat der Premierminister kurz zuvor schon auf einer Kabinettssitzung klargestellt: "Wir werden nicht zulassen, dass Israel von einer Welle illegaler Migranten und von Terroristen überschwemmt wird."

Ein Machtwort ist dies gewesen, um eine Debatte im Keim zu ersticken, ob sich angesichts der Flüchtlingsströme aus Syrien nicht auch Israel an der Aufnahme der Bedrängten beteiligen müsse. Insgesamt haben fast vier Millionen Syrer seit Beginn des Bürgerkriegs in den Nachbarländern Zuflucht gesucht: in Jordanien, in Libanon, in der Türkei. Dass bislang keine Syrien-Flüchtlinge nach Israel gekommen sind, obwohl es doch auch eine gemeinsame Grenze gibt, ist allerdings nicht verwunderlich, schließlich ist Israel Feindesland für die Syrer, und die Grenze ist seit Jahrzehnten dicht. Zudem verfolgt Israel ohnehin eine rigide Politik, um Flüchtlinge, die bislang zumeist aus Afrika kamen, abzuschrecken - mit Abwehrzäunen ebenso wie mit der Internierung in einem abgeschiedenen Lager in der Negev-Wüste. Ein Einwanderungsland ist Israel explizit nur für Juden aus der Diaspora.

Der Oppositionschef facht die Diskussion an

Unter dem Eindruck der steigenden Flüchtlingszahlen fordert nun Israels Oppositionsführer Isaac Herzog einen Kurswechsel. Zur Begründung beruft er sich auf die Historie: "Unser eigenes Volk hat für das Schweigen der Welt bitter bezahlen müssen und kann angesichts des Mordens und der Massaker in Syrien nicht teilnahmslos zusehen", erklärte er. Netanjahu habe wohl "vergessen, was es heißt, ein Jude zu sein, ein Flüchtling, gejagt".

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Unterstützung bekam Herzog für seinen Appell zur Aufnahme einer zumindest begrenzten Flüchtlingszahl nicht nur von Politikern aus dem linken Spektrum, sondern auch von der Dachorganisation der Holocaust-Überlebenden. Doch während auf der einen Seite die Diskussion mit Argumenten der Moral und Humanität geführt wird, ließ es sich Nava Boker, eine Hinterbänklerin aus Netanjahus Likud-Fraktion, nicht nehmen, auf Facebook einen zynischen Kommentar zu posten: "Lieber Syrien-Flüchtling", schrieb sie, "bitte kontaktiere nach deiner Ankunft Isaac Herzog wegen einer komfortablen Unterkunft" - dazu veröffentlichte sie seine dienstliche Telefonnummer. Auch andere Kritiker werfen Herzog vor, entweder naiv zu sein oder aus PR-Gründen eine Geisterdebatte angestoßen zu haben, zumal die Syrer selber kaum auf die Idee kämen, ausgerechnet nach Israel zu fliehen.

Doch immerhin hat er eine Diskussion angestoßen, in die nun von vielen Seiten Ideen eingebracht werden, wie Israel helfen könnte. Die einen schlagen vor, zumindest die bedrängten Drusen aus Syrien aufzunehmen, die anderen denken über eine Art humanitäre Pufferzone auf den Golanhöhen nach, in der Flüchtlinge Schutz finden könnten. Und obendrein hat auch Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas aus Ramallah einen Vorschlag präsentiert.

Das Westjordanland für Flüchtlinge öffnen? Von Israel kommt ein klares Nein

Vom Bürgerkrieg in Syrien sind auch etwa 500 000 Palästinenser aus ihren Häusern vertrieben worden. Zumeist lebten sie in den Flüchtlingslagern, die 1948 nach dem israelischen Unabhängigkeitskrieg entstanden waren. Nun will Abbas für sie das Westjordanland öffnen - dessen Grenzen allerdings werden von Israel kontrolliert. Die Autonomiebehörde in Ramallah hat deshalb angekündigt, über die Vereinten Nationen und auch über europäische Staaten Druck auf die Regierung in Israel auszuüben, damit diesen Flüchtlingen die Einreise erlaubt wird.

Auch dafür jedoch kam postwendend eine klare Absage der israelischen Regierung. Zeev Elkin, der immerhin den Titel Immigrationsminister trägt, schor den Vorschlag von Abbas und den Herzogs gleich über einen Kamm und erklärte, eine solche Flüchtlingspolitik sei nichts anderes als das von den Palästinensern immer schon propagierte "Rückkehrrecht durch die Hintertür".

Premierminister Netanjahu ergänzte, Israel sei schlicht zu klein, um Flüchtlinge aufzunehmen. "Wir haben weder eine geografische noch eine demografische Tiefe", warnt er. Dann machte er sich auf in Richtung Osten, um anzuschauen, wie nun auch die letzte noch nicht verriegelte Grenze Israels mit einem hohen Hightech-Zaun gesichert wird.

© SZ vom 08.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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