Israel:Streit über Arbeit am Sabbat

Lesezeit: 3 min

Als Gesundheitsminister zurückgetreten: Yaakov Litzmann. (Foto: Gali Tibbon/AFP)

Eine Regierungskrise zwang Ministerpräsident Netanjahu am Sabbat an den Schreibtisch. Eingebrockt hatten ihm das die Ultraorthodoxen.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Jerusalem

Benjamin Netanjahu hat wieder einmal seine Koalition gerettet - durch Zugeständnisse an die Ultraorthodoxen. Bei der Frage, ob Arbeiten an dem im jüdischen Kalender als Ruhetag vorgesehenen Sabbat erlaubt sind, wird in Zukunft die "Tradition Israels" berücksichtigt werden müssen. Und ein Minister soll Ausnahmeregelungen von Städten wie Tel Aviv kassieren können, wo einzelne Geschäfte auch zwischen Freitagnachmittag und Samstag geöffnet sind, wenn der Rest des Landes still steht

Mit diesen Vorschlägen, die noch in Gesetzesform gebracht werden müssen, hat der Ministerpräsident nach einer veritablen Kabinettskrise gleich zwei renitente Kabinettsmitglieder, ihre ultraorthodoxen Vertreter in der Knesset und die ihnen einflüsternden Rabbis zufriedengestellt. Wäre auch nur eine der beiden ultraorthodoxen Parteien Vereinigtes Thora-Judentum oder Schas aus Netanjahus Koalition ausgestiegen, hätte seine Regierung keine Mehrheit mehr gehabt.

Um beiden Parteien entgegenzukommen, war Netanjahu an diesem Sabbat zum Arbeiten gezwungen: Gesundheitsminister Yakoov Litzman hatte mit einer Rücktrittsankündigung für Aufregung gesorgt und auch Innenminister Arje Deri musste besänftigt werden. Er war beleidigt, dass in der Regierungssitzung zwar Litzmans Antrag eines Arbeitsverbots diskutiert werden sollte, aber nicht seine Forderung nach ausnahmsloser Schließung der Geschäfte am Sabbat. Das von Litzman vertretene Vereinigte Thora-Judentum und die von Deri geführte Schas-Partei sind politisch Konkurrenten, die um die streng religiösen Wähler kämpfen.

Litzman genoss in den vergangenen Tagen die größere Aufmerksamkeit. Er hatte seinen Rücktritt auf Geheiß seines Rabbi eingereicht - als Zeichen des Protests, weil der Arbeitsminister Wartungsarbeiten an Bahnstrecken am Wochenende nicht gänzlich einstellen wollte. Netanjahus in der Vorwoche gefundener Kompromiss, dass nur Nicht-Juden eingesetzt werden, hatte sich als Schwindel herausgestellt. Es waren auch jüdische Arbeiter am Werk.

Litzman, der seinen Kabinettsposten dem Vernehmen nach nur ungern zur Verfügung stellte, könnte aber bald zurückkehren - formal als Vizeminister, de facto auf jene Position, die er bisher inne hielt und die laut Netanjahu nicht nachbesetzt wird. Als Vizeminister müsste er nicht die volle Verantwortung für die Handlungen des ganzen Kabinetts übernehmen, so die spitzfindige Argumentation. Ein Teil der ultraorthodoxen Anhänger ist ohnehin dagegen, dass einer der ihren als Minister in der Regierung eines Staates Israel sitzt. Ihrer Ansicht nach darf nur der Messias einen jüdischen Staat wieder errichten.

300 Demonstranten legen eine Kreuzung in Jerusalem lahm, traktieren die Polizei mit Tritten

Ein Großteil der rund 300 Männer, die sich Sonntagnachmittag in Jerusalem in der Nähe des zentralen Busbahnhofes versammelten, vertritt genau diese Ansichten. Es sind Anhänger der als radikal bekannten "Jerusalemer Fraktion" des Rabbiners Schmuel Auerbach. Staatsgründer David Ben Gurion hatte den Strengreligiösen eine Ausnahmeregelung eingeräumt, die sie von der Wehrpflicht befreite, seit 2014 müssten sie aber Militärdienst leisten: drei Jahre die Männer, zwei die Frauen. Seit 2015 ultraorthodoxe Parteien Teil der Koalition von Ministerpräsident Netanjahu wurden, ist das Gesetz jedoch ausgesetzt. Wie alle 18-Jährigen kriegen auch die ultraorthodoxen Israelis bei Erreichen der Volljährigkeit einen Brief mit der Aufforderung, sich zum Militärdienst zu melden. Weil sie das schon als Zumutung erachten und auch keine Ausnahmegenehmigung beantragen wollen, wurden elf der Haredi genannten Strenggläubigen inhaftiert.

Dagegen und gegen den Militärdienst allgemein protestieren nun seit Wochen Ultraorthodoxe in Jerusalem und anderen Orten. Es sind auch an diesem Sonntag ausschließlich Männer, die eine wichtige Kreuzung blockieren, indem sie sich unterhaken und Polizisten mit Faustschlägen und Fußtritten attackieren.

Die Ultraorthodoxen kämpfen dafür, dass der Staat sie nach ihren Regeln leben lässt und ihren Lebensunterhalt finanziert, denn sie wollen sich nur dem Thora-Studium widmen. Sie sind eine Minderheit, die aber rasant wächst, weil eine Familie häufig acht Kinder und mehr hat. Die Ultraorthodoxen machen bereits eine Million der rund 8,5 Millionen Einwohner aus.

Nicht nur in der Politik, auch in der Gesellschaft nimmt ihr Einfluss zu. In Bibliotheken mit ultraorthodoxer Nachbarschaft, bei Fahrkursen und Fortbildungsveranstaltungen für ultraorthodoxe Frauen wird bereits Geschlechtertrennung praktiziert. Selbst Universitäten haben nach Geschlechtern getrennte Programme eingeführt, um mehr streng religiöse Frauen anzulocken. Vergangene Woche ordnete ein Rabbi in der vor allem von Ultraorthodoxen bewohnten Siedlung Modiin Ilit an, dass die ersten vier Reihen in Bussen nur für Männer reserviert seien. Ein Urteil des Obersten Gerichts aus dem Jahr 2011 besagt, dass Geschlechtertrennung in Bussen erlaubt ist - aber nur auf freiwilliger Basis.

© SZ vom 28.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: