Islamisten:Wie damals in Mekka

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Wo auch immer die Fanatiker einmarschieren, vernichten sie historische Schätze. Der Islamische Staat beruft sich auf den Propheten Mohammed - und verfolgt auch ganz profane Ziele.

Von Tomas Avenarius

Dem Islamischen Staat lässt sich vieles vorwerfen, Mangel an Entschlossenheit aber nicht. Kalif Ibrahim und seine postmoderne Hunnenhorde verfolgen im Irak und in Syrien Schiiten und Jesiden, sie vertreiben oder ermorden Christen, sie züchtigen, steinigen, kreuzigen und sie zwingen die Frauen und Töchter ihrer Opfer in die Sexsklaverei. Das Ganze etikettieren sie mit dem eingängigen Label vom "wahren Islam".

Neben dem Morden erweckt vor allem die systematische Zerstörung von Heiligtümern und antiken Ruinen in Syrien und im Nachbarland Irak Sprachlosigkeit und Unverständnis. Vor den Gefolgsleuten des selbstinthronisierten "Führers der Gläubigen" scheint in naher Zukunft kaum noch eine Kirche oder antike Säule der Region sicher zu sein. Die vorerst letzte Attacke der IS-Militanten galt dem dreibögigen Säulentor in Palmyra. Anfang Oktober hatten die Sprengmeister des Kalifen den Prachtbau in der syrischen Ruinenstadt pulverisiert, das Ganze medienwirksam angekündigt und hinterher ebenso medienwirksam ausgeschlachtet.

Und davor? Der 2000 Jahre alte Baal-Tempel in Palmyra, die Statuen und Reliefs im Museum der irakischen Stadt Mossul, der Schrein des Propheten Jonas, ebenfalls in Mossul. Und, und, und. Da der Irak und Syrien voller antiker, schiitischer, und christlicher Kultstätten sind, werden neue Schändungen folgen; selbst sunnitische Volksheiligtümer oder Schreine kann es treffen, obwohl sich der IS selbst als sunnitisch versteht. Der Islamische Staat wird so schnell nicht in die Schranken gewiesen werden, auch nicht von dem gerade in Syrien eingreifenden russischen Präsidenten Wladimir Putin mit seinen Bombern und Marschflugkörpern. Die Zerstörungen dürften weitergehen.

Der IS-Feldzug, der sich so gezielt gegen das kulturelle Erbe der Welt richtet, hat mehrere Gründe. Einer ist der Gruseleffekt. Nach jeder Sprengung eines Schreins vor laufender Kamera und mit Direktleitung zu den sozialen Medien sprechen die Menschen weltweit wieder ein paar Tage über den Kalifen und seinen IS. Außerdem können die Militanten heimlich einen Teil der Trümmer auf dem Kunstmarkt teuer verkaufen. Glauben und Geschäft gehen eben auch beim IS gut zusammen.

Neben Profit und Propaganda gibt es ideologische - die militanten Salafisten würden sagen: theologische - Gründe. Sie sind auf den ersten Blick schwer von der Hand zu weisen. Der Prophet Mohammed hatte den Machtanspruch seines neuen Glaubens im siebten Jahrhundert mit der Zerstörung eines polytheistischen Heiligtums in Mekka höchstpersönlich und handgreiflich demonstriert: Die Zerschlagung der Götter- und Götzenbilder in der Kaaba war der zweite große Initiationsakt des Islam, nach der Offenbarung des göttlichen Worts in einer Höhle auf dem Berg Hira.

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(Foto: AFP)

Noch steht das römische Theater im syrischen Palmyra, doch der Islamische Staat hat bereits angekündigt, er werde weitere Altertümer zerstören.

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(Foto: dpa)

Die Ruinen in der antiken irakischen Stadt Nimrud bei Mossul haben die Islamisten bereits verwüstet.

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(Foto: Str/AFP)

Auch an anderen Orten sind historische Stätten durch Fanatiker bedroht. 2012 zerstörten Islamisten alte Grabstätten in Timbuktu, Mali.

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(Foto: Sebastien Rieussec/AFP)

Einige dieser Mausoleen werden mittlerweile wieder rekonstruiert.

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(Foto: Baba Ahmed/AP)

In Bamako, der Hauptstadt Malis, wurde auch eine Bibliothek in Brand gesteckt, die wissenschaftliche Manuskripte aus dem 13. Jahrhundert beherbergte.

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(Foto: AP)

Ausmaß der Zerstörung: Iraker machen sich ein Bild von der Lage, nachdem der IS große Teile des Schreins des Propheten Jonas zerstört hat.

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(Foto: Str/dpa)

Ein Teil der Trümmer wird vermutlich auch heimlich auf dem Kunstmarkt verkauft, um den IS zu finanzieren.

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(Foto: Sayed Salahuddin/Reuters)

Das Tal von Bamyan, bekannt für eine riesige Buddha-Statue, die hier einst in die Felswand eingelassen war.

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(Foto: Tomas Munita/AP)

Heute klafft nur noch eine leere Silhouette im Fels: Sie und viele andere kulturelle Schätze Afghanistans fielen den Taliban zum Opfer.

Überliefert in den islamischen Quellentexten ist so viel: Als der gesellschaftliche Außenseiter Mohammed nach seiner Flucht aus Mekka Jahre später in seine Heimatstadt zurückkehrt, ist er längst der auch militärisch siegreiche Führer einer wachsenden Schar von Gläubigen geworden. Er setzt seine neue Religion in Mekka ohne größere Gewaltanwendung durch und reitet als Erstes zum zentralen Heiligtum der Handelsstadt: zur Kaaba. Dort zerschlägt er die Götzenfiguren und macht aus dem altarabischen Heidentempel das zentrale Heiligtum des Islam.

Die Götzenfiguren fielen vor Mohammed in den Staub, so wird es überliefert

In dem würfelförmigen Kaaba-Gebäude, so beschreibt es auch der Autor Lorenz Just in seiner neuen Mohammed-Biografie unter Berufung auf die Überlieferung, standen in der vorislamischen Zeit jede Menge Götzenfiguren. Die wichtigsten waren die Göttinnen Al-Lat, Uzza, Mana, dazu wirkte der Gott Hubal. Über ihnen und anderen Götzen stand eine Obergottheit, Allah, einfach Gott genannt. Außerdem gab es einen schwarzen Stein, der in die vorislamische Kaaba-Mauer eingemauert war; angeblich hatte Abraham einen Meteoriten dort hingebracht.

Dieser alt-mekkanische Olymp war ziemlich weltlich. Die Händler, die sich in der Karawanenstadt trafen, konnten dem Götzen opfern, der ihnen gerade nützlich erschien. Ein Opfer im Tausch gegen den Segen fürs Geschäft, die lange Reise durch die Wüste, den Kauf neuer Kamele. Gottes wahrer Wille und ein Leben nach dem Tod als Belohnung für den Frommen waren weniger wichtig. Mohammed als Stifter des Islam hingegen trieb die Idee von dem einen, unergründlichen und allmächtigen Gott auf die Spitze. Alles, was nur im Ansatz als Vielgötterei oder als in Bildern ausgedrückte Heiligenverehrung betrachtet werden kann, galt ihm als verboten.

Als der Religionsstifter hoch zu Kamel an der Kaaba erschien, so die Überlieferungen, soll er mit seinem Stock auf jede einzelne Götzenstatue gedeutet und gesagt haben: "Die Wahrheit ist gekommen, das Falsche ist vorüber, siehe, es wird zerstört." Die Figuren seien daraufhin eine nach der anderen vom Sockel gefallen und zerbrochen, ohne dass auch nur ein Mensch Hand angelegt habe. Nach Ansicht der Gefolgsleute des Propheten warfen die tönernen Götzen sich vor ihrem Führer in einem quasi suizidalen Akt in den Staub: Islam bedeutet Unterwerfung unter den Willen des einen Gottes. Mohammed soll seinen Kaaba-Auftritt dann mit dem zentralen Satz seiner Weltreligion gekrönt haben: "Es gibt keinen Gott außer Gott."

Mangels zeitgenössischer schriftlicher Quellen wurden solche Szenen mündlich überliefert und erst später - mit Sicherheit in abgewandelter, geschönter Form - kanonisiert. Weite Teile der vorislamischen Geschichte werden vor dem Hintergrund dieses Gründungsmythos von strenggläubigen Muslimen und von Islamisten als eine einzige Jahilija, eine sündengetränkte Teufelswelt, abgelehnt. Teile der jüdischen und christlichen Geschichte vor dem Islam hatte der Mann aus Mekka in sein eigenes Religionsgesamtkunstwerk jedoch klug eingearbeitet: Auf der arabischen Halbinsel siedelten von den Römern vertriebene Juden, christliche Händler und Mönche zogen vorbei. Mohammed kannte ihre Gottesgeschichten zumindest in Teilen vom Hörensagen und nutzte sie.

Die Muslime verehrten daher von Anbeginn an auch die biblischen Propheten. Sie integrieren sie in ihre Ahnenreihen, würdigen sogar Jesus und Maria - und sehen sich wegen der gemeinsamen Ahnenreihe als ebenbürtig mit den beiden anderen monotheistischen Weltreligionen. Allerdings sind diese Personen weder gottgleich noch heilig, sie bleiben Menschen. So wie Mohammed, der letzte von Gott gesandte Prophet, immer als Mensch verehrt wird, nie aber als Heiliger oder gar Gottessohn.

Zum vermeintlichen Sündenpfuhl der vorislamischen Heidenwelt hingegen gehören für die ersten Muslime ebenso wie für die modernen Ultra-Islamisten alle antiken Polytheisten und Götzenanbeter. Und für besonders engstirnige Vertreter auch ihre Hinterlassenschaften, die heute als Weltkulturgüter bewundert werden: die Palmyra-Ruinen, der ägyptische Luxor-Tempel oder die Pyramiden von Gizeh.

Militante Salafisten wie die Anhänger des IS-Kalifats brüsten sich damit, die Lehre Mohammeds eins zu eins umsetzen. Sie wollen die moderne Lebenswelt um jeden Preis an die Lebenswelt des Propheten im 7. Jahrhunderts angleichen. Die Fundamentalisten rechtfertigen ihr Zerstörungswerk mit der ihnen eigenen, schlichten Logik: Wenn der Prophet den Götzentempel in Mekka zerstört hat, ist das auch unsere Aufgabe, wo auch immer.

In Ägypten wollten Scheichs halbnackte pharaonische Figuren in Kleider stecken

Seine Wurzeln hat dies in einer auch aus Sicht der meisten Muslime konsequent unhistorischen Weltsicht. Salafisten und andere Islamisten klauben aus dem Koran und anderen islamischen Schriften heraus, was ihrem moralinsauren Denken und vor allem ihrem politischen Machtanspruch dient. Sie verkaufen dies als einen für alle Gläubigen zwingenden Monopol-Islam. In der kurzen Regierungszeit der Islamisten meldeten sich in Kairo prüde Scheichs zu Wort, die die halb nackten pharaonischen Figuren im Ägyptischen Museum mit Wachshüllen bekleiden wollten; andere wollten sie gleich zerschlagen.

Dass der Erhalt und der Besuch heidnischer Tempel keineswegs dem Götzendienst als solchem gleichkommen, will in das normale Fundamentalistenhirn ebenso wenig hinein wie die Tatsache, dass sich auch Atheisten an den Kulturstätten erfreuen. Die IS-Kämpfer sind freilich nicht die Ersten, die im Namen des Islam Kunst zerschlagen. Siehe die riesigen Buddhas im afghanischen Bamian, Figuren aus dem 6. Jahrhundert: Mit der Zerstörung dieser in eine Felswand gehauenen Statuen hatten die Taliban 2001 das neue Jahrtausend eingeläutet. Malische Salafisten zerstörten islamische Mausoleen in Timbuktu, verbrannten Tausende jahrhundertealte Manuskripte in den Bibliotheken der Stadt. Auch in früheren Jahrhunderten hat es das gegeben: Muslimische Uiguren in Turkestan im heutigen China etwa hatten buddhistische Kultstätten zerstört, den Figuren auf den Wandfresken die Augen ausgekratzt oder gleich den Kopf übermalt.

© SZ vom 24.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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