Irak und Syrien:Viele Kurden fühlen sich zu Recht verraten

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Ein Peschmerga-Kämpfer beim Kampf um Mossul im November vergangenen Jahres: Die Kurden haben die Schlacht gegen den IS immer als Kampf für ihre Eigenständigkeit gesehen. (Foto: AFP)

Sie haben ihr Blut auch für die Interessen des Westens gegeben, für die Zentralregierung in Bagdad, das syrische Regime, die Türkei, Russland und Iran. Aber niemand dankt es ihnen.

Kommentar von Paul-Anton Krüger, Kairo

Jetzt ist das Kalifat des Terrors gefallen. Seine Hauptstadt Raqqa wurde von einem Milizenbündnis eingenommen, in dem Kurden dominieren. Am gleichen Tag mussten die Kurden im Irak angesichts der übermächtigen Streitkraft aus Armee, Schiiten-Milizen und iranischen Revolutionsgarden die Stadt Kirkuk aufgeben. Letztlich zogen die Peschmerga aus all jenen umstrittenen Gebieten ab, die sie seit Sommer 2014 vor der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) verteidigt oder von ihr freigekämpft haben. Die irakische Armee war damals vor den Dschihadisten geflohen und überließ ihnen kampflos ihre Waffen.

Die Kurden haben die Schlacht gegen den IS immer als Kampf für ihre Eigenständigkeit gesehen. Ihre Peschmerga bezahlten dafür mit 1750 Gefallenen und 10 000 Verwundeten. Die kurdischen YPG-Milizen in Syrien beklagen doppelt so viele Opfer. Sie haben ihr Blut auch für die Interessen des Westens gegeben, für die Zentralregierung in Bagdad, das syrische Regime, die Türkei, Russland und Iran.

Niemand dankt ihnen das. Im Irak sind ihnen weder die USA noch Europa beigesprungen. Es ist also nachvollziehbar, dass viele Kurden sich verraten fühlen. In Syrien werden sie sich fragen, ob sie weit der Heimat den IS bekämpfen sollen, während die Türkei sich daran macht, die selbstverwalteten kurdischen Kantone aufzurollen. Präsident Recep Tayyip Erdoğan wird jeden Deal mit Russland, Iran und dem syrischen Regime eingehen, um ein staatsähnliches Gebilde der Kurden zu verhindern.

Mit dem Fall Raqqas geht die Militäroperation gegen den IS in die abschließende Phase. Im Irak zerbrechen nun Zweckallianzen, die nur vom gemeinsamen Feind zusammengehalten wurden. In Syrien liefern sich Kurden und das Regime einen offenen Wettlauf, um die Gebiete vom IS zu erobern. Hier wie dort hat schon der Verteilungskampf begonnen.

Es rächt sich nun, dass der Westen, allen voran Amerika, nie einen Plan entwickelt hat, wie die Ordnung in den befreiten Gebieten und darüber hinaus im Irak aussehen könnte - von Syrien ganz zu schweigen. Die Regierung von Präsident Barack Obama hätte hier vielleicht noch improvisiert. Unter Donald Trump gibt es für strategische Probleme weder Interesse noch den nötigen Apparat. Amerikas Einfluss reichte nicht einmal, um Kurden-Präsident Massud Barzani, einen langjährigen Verbündeten, von seinem unausgegorenen und opportunistischen Unabhängigkeitsreferendum abzubringen. Wie Berlin hatten die USA eindringlich mitgeteilt, dass die Einheit des Irak über allem stehe - vergeblich.

Schuldet der Westen den Kurden Dank und Unterstützung?

Bagdad nahm das Referendum als Anlass, alle Gebietsgewinne der Kurden rückgängig zu machen. Barzani unterschätzte, wie sehr Washington dem irakischen Premier verpflichtet ist. Wird Haidar al-Abadi 2018 nicht wiedergewählt, verlieren die USA jeden Einfluss an den ohnehin schon übermächtigen Iran. So standen sich Peschmerga und irakische Armee gegenüber. Hätten sich die USA auf die Seite der Kurden geschlagen, wären sie Partei in einem Bürgerkrieg geworden - dessen Gefahr nicht gebannt ist.

In Deutschland wird die Kirkuk-Krise jetzt zum Anlass genommen, das Ende der Unterstützung für die Kurden zu fordern. Es fühlen sich diejenigen bestätigt, die immer schon gegen Waffenlieferungen waren. So hätte man ein reines Gewissen gehabt. Das allerdings wäre getrübt gewesen von einem noch höheren Blutzoll, den man den Kurden abverlangt hätte. Die deutschen Milan-Raketen waren ihre einzige Waffe gegen die Selbstmord-Autobomben des IS. Überdies zeigen wichtige Peschmerga Vernunft: Sie zogen eine demütigende politische Niederlage und das vorläufige Ende des Unabhängigkeitstraums einem sinnlosen Kampf vor.

Was es nun braucht, ist politische Vermittlung. Den Weg zeichnet die irakische Verfassung vor. Das Oberste Gericht kann das Referendum annullieren. Akzeptieren die Kurden das, muss es Volkszählungen und Abstimmungen in den umstrittenen Gebieten geben. Die Kurden wählen ein neues Parlament, eine neue Führung. Auch beteiligen sie sich an der Wahl zum irakischen Parlament 2018. Dann kann es Verhandlungen geben. Sie werden nicht zu einer Unabhängigkeit führen - ohne das Öl von Kirkuk ist ihr Staat ohnehin nicht lebensfähig. Vielleicht aber ist eine Konföderation erreichbar. Für Syrien bleibt kaum eine Hoffnung als der moribunde UN-Friedensprozess in Genf.

Hier wie dort brauchen die Kurden Unterstützung. Gelingt kein fairer Ausgleich mit ihnen, aber auch den Sunniten, ist es nur eine Frage der Zeit, bis der IS zurückkehrt. Lässt man die Kurden jetzt allein, werden sie sich dann nicht mehr für ach so gute Freunde im Westen aufopfern.

© SZ vom 20.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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