Inhalte:Rückkehr der Tarif-Tabellen

Lesezeit: 2 min

Steuerpolitisch passierte unter der jüngsten großen Koalition nichts, man blockierte sich. Nun ist eine Reform denkbar.

Von Cerstin Gammelin

Sichere Jobs, digitaler Fortschritt, Familienförderung, würdevolle Pflege - Bundeskanzlerin Angela Merkel hat in ihrer Neujahrsansprache einige Stichworte genannt, die im Mittelpunkt der Arbeit der nächsten Bundesregierung stehen sollen. Die CDU-Chefin ist dabei so allgemein geblieben, dass ihr keiner der potenziellen Koalitionspartner von SPD und CSU widersprechen konnte, jedenfalls nicht inhaltlich. Streit wird es in den Sondierungsgesprächen für eine neue große Koalition dennoch geben, über die Instrumente, mit denen gemeinsame Ziele umgesetzt werden sollen. An dieser Stelle kommt die Steuerpolitik ins Spiel.

Die Suche nach einem Konsens darüber, wie und ob Steuern erhöht oder gesenkt werden sollen und mit welchem Ziel, gehört zu den kniffligsten Aufgaben einer Regierungsbildung. In der jüngsten großen Koalition, die noch geschäftsführend im Amt ist, konnten sich CDU, CSU und SPD nur darauf einigen, die Steuern weder zu senken noch zu erhöhen. Die Bilanz fällt ernüchternd aus: Die Koalitionspartner beraubten sich damit selbst der Möglichkeit, Steuern als politisches Gestaltungsmittel einzusetzen. Es passierte nichts.

Alle Beteiligten wollen untere und mittlere Einkommen entlasten

Es wird leicht übersehen, dass in dem Wort "Steuer" auch das Verb "steuern" steckt, im Sinne von lenken. Steuern sind für Politiker eines der tauglichsten Gestaltungsmittel, um eine Gesellschaft zu lenken. Wer die Dieselsteuer erhöht, kann alternative Antriebe fördern. Wer eine Steuer auf Kohlendioxid einführt, kann umweltschonende Produktionsverfahren voranbringen. Wer Spitzenverdiener höher besteuert oder auch Erbschaften, kann Vermögen in einer Gesellschaft verteilen und damit für sozialen Frieden sorgen.

Welche Sprengkraft der Streit um Steuern haben kann, war in den Sondierungen für ein schwarz-gelb-grünes Bündnis zu sehen. FDP-Chef Christian Lindner ließ Jamaika auch deshalb platzen, weil er nicht durchsetzen konnte, den Soli-Zuschlag komplett abzuschaffen - und deshalb lieber aufs Regieren verzichtete.

Aber auch ohne FDP gilt: Es ist Bewegung in die Steuerpolitik gekommen. Auch Union und SPD wollen wieder gestalten und dazu Steuern nutzen. Sie halten zwar wenig davon, die Sonderabgabe auf die Lohnsteuer sofort zu streichen. Die Sozialdemokraten wollen das Geld nutzen, um zu investieren, in Bildung, Infrastruktur und Personal. Die CDU will zwar den Soli abschaffen, aber nur schrittweise. Ähnlich wie die SPD plädieren CDU und CSU dafür, untere und mittlere Einkommen zu entlasten. Um die 15 Milliarden Euro Steuerentlastung im Jahr haben sie im Wahlkampf versprochen.

Auch das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) greift diese Idee auf. Am Mittwoch schlugen die Wissenschaftler bei der Vorstellung ihres Jahresgutachtens in Berlin vor, den Soli zunächst in den Einkommensteuertarif zu integrieren und danach den Tarif für Geringverdiener zu senken. Sie fordern, die Einkommen "in den mittleren und unteren Segmenten" deutlich zu erhöhen, um das Auseinanderdriften der Gesellschaft zu stoppen. Es ist im Grunde genommen dasselbe Ziel, das Angela Merkel ausgegeben hat. Bleibt die Frage, ob und wie CDU, CSU und SPD dies umsetzen wollen.

© SZ vom 04.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: