Im Stadion:Fassungslos

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Schritt für Schritt erfahren die Fans von den Ereignissen. Gespenstische Stille macht sich breit. Doch die Menschen reagieren auch besonnen.

Von Ulrich Hartmann

Um 20.40 Uhr am Dienstagabend betrat der Vereinschef von Borussia Dortmund mit blasser Miene jenen Fußballrasen, auf dem fünf Minuten später eigentlich das Viertelfinal-Hinspiel der Champions League zwischen Dortmund und dem AS Monaco hätte angepfiffen werden sollen. "Wir sind geschockt", sagte Hans-Joachim Watzke ins Stadionmikrofon, "es hat einen Sprengstoff-Anschlag auf unseren Mannschaftsbus gegeben." Zu diesem Zeitpunkt war das riesige Stadion immer noch etwa zur Hälfte gefüllt.

Die Zuschauer wussten bereits, was passiert war. Sie wirkten fassungslos und unschlüssig, ob sie gleich wieder heimgehen oder auf der Tribüne weitere Informationen abwarten sollen. Viele blieben auch deshalb, weil sie explizit gebeten wurden, das Stadion nicht sofort zu verlassen und keine Panik zu entwickeln. Im und am Stadion jedoch schien keine Gefahr zu drohen. Es herrschte eine seltsame, eine gespenstische Stille. Keinerlei Unruhe. Niemand beeilte sich besonders, das Stadion schnellstmöglich zu verlassen. Alle Reaktionen wirkten verzögert, ein bisschen wie in Zeitlupe.

Um 20.32 Uhr hatte Dortmunds Stadionsprecher Norbert Dickel die Zuschauer darüber informiert, dass das Spiel abgesagt sei und bereits an diesem Mittwoch um 18.45 Uhr nachgeholt werde. Einige Zuschauer hatten danach gepfiffen, aber das war womöglich nur Ausdruck ihrer Erschrockenheit. Als Watzke über das Stadionmikrofon jedoch erklärte, das Spiel werde am Mittwoch bereits früher angepfiffen, damit man dem späteren Spiel des FC Bayern München gegen Real Madrid nicht in die Quere komme, pfiffen die Unverbesserlichen. Einige monegassische Fans riefen "Dortmund, Dortmund", um ihre Solidarität zu demonstrieren.

Einige monegassische Fans rufen "Dortmund, Dortmund", um ihre Solidarität zu demonstrieren

Ein Krisenstab mit Vertretern des europäischen Fußballverbands Uefa, Repräsentanten beider Vereine sowie Dortmunder Sicherheitsbehörden hatte im Stadion zusammengesessen und die Entscheidung für die Absage getroffen. Die durch die Explosion verursachten Verletzungen des Dortmunder Spielers Marc Bartra, der am Abend im Krankenhaus operiert wurde, hätten zu dieser Absage schon genügt, aber der mentale Zustand der gesamten Dortmunder Mannschaft war nicht dazu angetan, an diesem Abend noch Fußball zu spielen. Der Stadionsprecher hatte sich um 20 Uhr erstmals ans Publikum gewandt und es zunächst vertröstet. Es habe einen Zwischenfall am Mannschaftsbus gegeben, sagte er. Das klang zunächst einmal harmlos. Man hätte zu diesem Zeitpunkt auch denken können, ein Reifen sei geplatzt. Etwas später war von einer zerbrochenen Scheibe am Bus die Rede. Noch später, als schließlich durchgesickert war, dass es im Süden der Stadt am Mannschaftshotel sogar zu mindestens drei Explosionen gekommen sei, sagte der Sprecher zum Publikum: "Es besteht hier im Stadion kein Grund zur Panik."

Bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr ist damit ein Pflichtspiel des BVB kurzfristig abgesagt worden. Sechs Wochen zuvor, am Dienstag, den 28. Februar, war im westfälischen Lotte das Pokal-Viertelfinalspiel der Dortmunder beim Drittligisten Sportfreunde Lotte wegen Schneefalls abgeblasen und zwei Wochen später in Osnabrück nachgeholt worden.

"Die Mannschaft ist in Schockstarre", berichtete Watzke am Dienstagabend auf dem Rasen. "Wir müssen das irgendwie kanalisieren und versuchen, am Mittwochabend einigermaßen wettbewerbsfähig zu sein." Mit Blick auf das Spiel zeigte sich Borussia Dortmunds Präsident Reinhard Rauball zuversichtlich: "Das sind alles Profis, ich denke, dass die Spieler das wegstecken können." Rauball erklärte den Profis des AS Monaco in der Kabine, warum es zur Absage kam. Die Spieler des französischen Tabellenführers versammelten sich daraufhin auf dem Rasen im Stadion und legten eine richtige Trainingseinheit im Hinblick auf das Spiel am Mittwoch ein. Man nennt dies "Belastungssteuerung".

Über Twitter riet der BVB am Abend den Fans aus Monaco, sich auf einer besonderen Vermittlungsseite für Gästefans zu Übernachtungsmöglichkeiten in Dortmund zu informieren. Zuschauer, die bereits wussten, dass sie an diesem Mittwoch nicht zum Spiel kommen können, wurden über Möglichkeiten zur Rückgabe ihrer Tickets informiert.

© SZ vom 12.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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