Humanitäre Krise im Gaza-Streifen:Dramatischer Appell des Roten Kreuzes

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Es fehlt an allem: Das Rote Kreuz berichtet von der verheerenden humanitären Lage im Gaza-Streifen. Nach palästinensischen Angaben wurden allein am Morgen 24 Zivilisten getötet. Israel verweigert ausländischen Journalisten weiter die Einreise ins Kampfgebiet - und will auch keine UN-Beobachter zulassen.

Zwei Tage nach Beginn der Bodenoffensive hat Israel die schweren Angriffe im Gaza-Streifen fortgesetzt. Die Situation der Bevölkerung wird dabei offenbar immer schlimmer. Nach palästinensischen Angaben wurden am Morgen insgesamt 24 Zivilisten getötet, darunter 13 Kinder.

Ein weinender Palästinenser vor dem Schifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt (Foto: Foto: AFP)

Der Leiter der Notaufnahme im Schifa-Krankenhaus in Gaza, Haitam Dababisch, teilte mit, 13 der Toten stammten aus einer Großfamilie im Saitun-Viertel in Gaza. Sie seien bei einem israelischen Vorstoß mit gepanzerten Fahrzeugen getötet worden. Bei den Toten handle es sich um einen Mann, vier Frauen und acht Kinder.

Bei einem weiteren Zwischenfall im Schatti-Flüchtlingslager wurde eine andere Familie tödlich getroffen. Nach palästinensischen Augenzeugenberichten wurden die Eltern und fünf Kinder im Schatti-Flüchtlingslager getötet. In ihrem Haus sei eine Granate eingeschlagen, die ein israelisches Kriegsschiff abgefeuert habe.

In Bet Hanun im nördlichen Gaza-Streifen wurden nach Angaben aus dem Krankenhaus vier weitere Zivilisten getötet, als eine Panzergranate ein Trauerzelt traf. Eine israelische Armeesprecherin in Tel Aviv teilte mit, man prüfe alle drei Vorfälle. Nach Angaben der palästinenischen Gesundheitsbehörde beträgt die Zahl der seit Beginn der Militäroffensive am 27. Dezember getöteten Palästinenser inzwischen 527. Mehr als 2500 seien verletzt worden, darunter etwa 800 schwer. Damit ist es die bisher blutigste israelische Militäroffensive in den Palästinensergebieten.

Rotes Kreuz appelliert an Konfliktparteien

In einem dramatischen Appell hat der Präsident des Deutschen Roten Kreuzes, Rudolf Seiters, die Kriegsparteien in Gaza die Einhaltung des humanitären Völkerrechts gefordert. Während die israelischen Streitkräfte ihren Offensivdruck am Montag weiter erhöhten, musste die Organisation Ärzte ohne Grenzen ihre Arbeit in Chan Junis im Südteil des Gaza-Streifens einstellen.

Der Konflikt kostet nach den Worten Seiters immer mehr Zivilisten das Leben. "Wir appellieren an beide Konfliktparteien, das Internationale Humanitäre Völkerrecht zu beachten und die Zivilbevölkerung zu schonen," erklärte Seiters. Beide Parteien müssen zivile Einrichtungen wie Krankenhäuser, Moscheen und Schulen schützen und sie auch nicht für militärische Operationen nutzen.

Seiters prangerte an, das medizinische Notfallteam des Internationalen Roten Kreuzes habe drei Tage an der Grenze zwischen Israel und Gaza auf die Genehmigung warten müssen. Das Team werde im Schifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt bei der Behandlung von besonders schwer Verwundeten helfen. Es fehle inzwischen besonders an schmerzstillenden Medikamenten und Betäubungsmitteln, aber auch an Leichensäcken und Tüchern, um die Toten zu bedecken.

Die Krankenhäuser arbeiten mit Generatoren, deren Benzinvorräte ebenso wenig reichten wie für die Ambulanzfahrzeuge. Die chirurgischen Einrichtungen sind laut Ärzte ohne Grenzen völlig überlastet. Es fehle vor allem an Gefäßspezialisten. Die Versorgung der Verletzten müsse auch der Lage angepasst werden, wonach Palästinenser ihre Häuser aus Sicherheitsgründen nicht mehr verlassen könnten. Derzeit seien 38 Mitarbeiter im Gaza-Streifen. Im Gaza-Streifen gibt es nur 2500 Krankenhausbetten.

Amnesty International: Menschen haben nichts zu essen

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International bezeichnete die israelische Offensive im Gaza-Streifen als die gravierendste seit der Besetzung 1967. "Die allgemeine Lage hat sich seit zwei Jahren kontinuierlich verschlechtert. Aber dass die Menschen nichts zu essen haben, das gab es noch nie", sagte die Amnesty-Nahost-Expertin Donatella Rovera der Berliner Zeitung. Reis, Zucker und Brot seien im Gaza-Streifen kaum aufzutreiben. In den Krankenhäusern mangele es an Arzneien und medizinischem Gerät.

"Es ist zur Zeit kalt in Gaza, es gibt keinen Strom und damit auch kein Wasser, weil die elektrischen Pumpen nicht funktionieren", wurde Rovera weiter zitiert. Der UN-Sicherheitsrat müsse zu einem Entschluss kommen und Druck auf beide Seiten ausüben. "Es steht außer Frage, dass Israel ein Recht hat, sein Volk zu schützen. Aber die Angemessenheit der Mittel erscheint fraglich", sagte die Amnesty-Vertreterin dem Blatt zufolge.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon zeigte sich besorgt über die Situation der Bevölkerung im Gazastreifen. Er forderte die Mitglieder des Weltsicherheitsrats auf, sich rasch auf Maßnahmen zur Beendigung des Konflikts zu verständigen. Er äußerte am Sonntag in einer Erklärung sein Bedauern, dass sich der Sicherheitsrat bisher nicht auf eine Entschließung für einen sofortigen Waffenstillstand habe einigen können.

Iran hat Ägypten Hilfe bei der Behandlung verletzter Palästinenser aus dem Gaza-Streifen angeboten. Der iranische Außenminister Manuchehr Mottaki bat seinen ägyptischen Amtskollegen zudem um Erlaubnis, ein Feldlazarett nahe der Grenze zum Gaza-Streifen zu errichten. "Wir erwarten eine Antwort auf die Anfrage", teilte das Außenministerium in Teheran mit. Der Iran hat die israelischen Angriffe auf den Gaza-Streifen verurteilt und seine Unterstützung für die islamistische Hamas bekundet. Zudem hat die Regierung in Teheran arabischen Staaten wie Ägypten vorgeworfen, durch eine passive Haltung Israels Offensive indirekt zu billigen und das Leid der Palästinenser im Gaza-Streifen zu ignorieren.

Auslandskorrespondenten dürfen weiter nicht in Gaza-Streifen

Nach Angaben des israelischen Außenministeriums sollten im Laufe des Montags rund 200 Personen mit doppelter Staatsbürgerschaft den Gaza-Streifen verlassen dürfen. Darunter seien auch Deutsche.

Israel lässt indes ungeachtet eines anderslautenden Urteils des Obersten Gerichtshofes weiterhin keine Auslandskorrespondenten in den Gaza-Streifen einreisen. Die Richter hatten ursprünglich angeordnet, dass eine Gruppe von acht bis zwölf Journalisten immer dann in das Gebiet fahren darf, wenn die Grenzübergänge aus humanitären Gründen geöffnet werden. Als Begründung für das fortdauernde Verbot seien nun Sicherheitsrisiken angegeben worden, wie eine Mitarbeiterin der Auslandspressevereinigung (FPA) in Tel Aviv mitteilte.

Seit Beginn des israelischen Militäreinsatzes am 27. Dezember werden Auslandskorrespondenten, die in Israel akkreditiert sind, an einer Berichterstattung vom Ort des Geschehens gehindert. Damit ist eine unabhängige Überprüfung der Angaben sowohl der Armee als auch der Palästinenser nicht möglich. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch forderte Israel auf, umgehend Journalisten und Menschenrechtsbeobachter in den Gaza-Streifen zu lassen. Deren Anwesenheit sei in Konfliktgebieten notwendig, um mögliche Verletzungen der Menschenrechte und des Kriegsrechts zu überprüfen, heißt es in einer Erklärung.

Livni gegen Entsendung von UN-Beobachtern

Israel hat zudem einen europäischen Vorschlag zur Entsendung von UN-Beobachtern in den Gazastreifen abgelehnt. Sie glaube nicht, dass ein solcher Einsatz hilfreich wäre, sagte Außenministerin Tzipi Livni auf einer Pressekonferenz mit Vertretern der Europäischen Union. Laut Regierungsvertretern unterstützt Israel dagegen einen internationalen Einsatz an der ägyptischen Grenze zum Gaza-Streifen. Dies könne helfen, den Waffenschmuggel einzudämmen. Vor dem Beginn der israelischen Bodenoffensive hatten sich die USA und Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier für UN-Beobachter in dem Küstengebiet ausgesprochen. Als Voraussetzung galt jedoch eine Waffenstillstandsvereinbarung.

© dpa/AP/Reuters/AFP/ihe/gba - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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