Horst Teltschik über Hans-Dietrich Genscher:"Kohl ärgerte sich gelegentlich über ihn"

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Horst Teltschik war als Helmut Kohls außenpolitischer Strippenzieher ein regierungsinterneter Gegenspieler von Hans-Dietrich Genscher. Zu seinem 85.Geburtstag erinnert er sich an die spannungsreiche Zusammenarbeit, die Kniffe Genschers - und einen Punkt, den der Außenminister dem Kanzler voraus hatte.

Horst Teltschik (CDU), fungierte ab 1983 als Vizechef im Kanzleramt unter Helmut Kohl, zu dessen engsten Vertrauten er gehörte. 1990 war er Mitunterhändler der Wiedervereinigung, als Strippenzieher Kohls stand er in Konkurrenz zu Genscher. Nach seinem Ausstieg aus der Politik wurde Teltschik BMW-Manager und langjähriger Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz.

Horst Teltschik im Jahr 2008 während der Münchner Sicherheitskonferenz (Foto: dpa)

"Nur Andrei Gromyko in der UdSSR war als Außenminister länger im Amt als Hans-Dietrich Genscher. Er brachte es auf 28 Jahre, Genscher auf 18 Jahre, aber damit war er Rekordhalter im Westen. Das nutzte er durchaus aus. Wenn an Dienstjahren jüngere Kollegen auf Außenministertreffen Positionen vertraten, die er nicht teilte, verwies er sie gerne auf frühere Beschlüsse, an denen diese noch nicht mitgewirkt hatten, um eine weitere Diskussion zu verhindern.

Im Zweifel hatte es diese Beschlüsse gar nicht gegeben, aber die Kontrahenten schwiegen daraufhin. Genscher musste schon unter Bundeskanzler Helmut Schmidt und danach unter Helmut Kohl wie alle Außenminister die Erfahrung machen, dass die Außenpolitik zunehmend zur Domäne der Regierungschefs wurde.

Die modernen Kommunikationsmittel haben diese Entwicklung noch beschleunigt. Regierungschefs kommunizieren heute direkt miteinander und setzen in besonders sensiblen Fragen gerne persönliche Beauftragte ein. Was bleibt den Außenministern zu tun?

Für Genscher war das nur ein begrenztes Problem. Zwar ärgerte er sich über manche Entscheidungen seiner Bundeskanzler, aber mit Helmut Kohl hatte er einen Partner, der mit der FDP immer sehr pfleglich umgegangen ist. Er war sich bewusst, dass die Union nur zusammen mit der FDP eine Regierungsmehrheit erreichen könne. Er wies deshalb Kritik an Genscher, die es in Fülle gab, häufig mit dem Hinweis ab, er brauche ihn und dieser brauche seine eigene Spielwiese.

"Als er zurücktrat, wirkten seine Formeln nicht mehr"

Ein Juniorpartner habe es nicht leicht, öffentlich zur Kenntnis genommen zu werden. Dem trug Kohl Rechnung, auch wenn er sich selbst über Genscher geärgert hatte. Und Genscher nutzte seine Spielwiese reichlich, sehr zum Ärger des konservativen Flügels der Union. Während seiner ganzen Amtszeit variierte er einem Mantra gleich die stets populären Formeln: Friede, Abrüstung, Entspannung, Zusammenarbeit, Dialog. Von daher war sein überraschender Rücktritt 1992 durchaus konsequent.

Seine Formeln wirkten nicht mehr, denn es gab Krieg im Irak und auf dem Balkan, und die Frage stand an, ob die Bundeswehr sich beteiligen solle. Mit Helmut Kohl gab es in den Grundsatzfragen der deutschen Außenpolitik volle Übereinstimmung, vor allem in der Europapolitik. Doch auch das wusste Genscher für sich zu nutzen.

Helmut Kohl pflegte sehr enge und freundschaftliche Beziehungen zum französischen Präsidenten Mitterand; Genscher in gleichem Maße mit seinem Kollegen Dumas. Und wenn der Bundeskanzler Initiativen wie die Währungsunion erst einmal in seiner Fraktion durchsetzen musste, konnte Genscher öffentlich vorpreschen, was er stets gerne tat.

"Der Umgang mit Medien war die größte Stärke Genschers"

Schwieriger war es für Genscher mit seinem amerikanischen Kollegen James Baker, der sich nach Gesprächen mit Genscher mehrfach im Bundeskanzleramt vergewisserte, ob die Aussagen auch der Meinung des Bundeskanzlers entsprächen. Der Umgang mit den Medien war die größte Stärke Genschers.

Helmut Kohl hätte in diesem Fall von ihm nur lernen können. Journalisten wurden vorab darüber unterrichtet, welche Aussagen in den Reden des Außenministers besonders zu würdigen seien. Aus wichtigen Tageszeitungen konnte man entnehmen, wer mit Genscher gerade wieder gefrühstückt und ausführlich unterrichtet worden war, ob in Bonn oder auf Auslandsreisen.

Welcher Journalist wollte sich dieser Vorzugsbehandlung schon entziehen? So schrieb sich der Außenminister auch manchen Erfolg zu, den er nur im Windschatten des Bundeskanzlers erlebt hat. Einen herzlichen Glückwunsch zum wohl verdienten 85. Geburtstag und alles Gute."

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