Hilfsinstrumente:Fehler im System

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In Sozialwohnungen leben viele, die eigentlich kein Recht dazu haben, weil ihr Einkommen zu hoch ist. Das ließe sich oft vermeiden.

Von Thomas Öchsner

Sozialer Wohnungsbau soll den Bedürftigen helfen. Was einfach und eindeutig klingt, ist es aber nicht unbedingt. Das liegt an der sogenannten Fehlbelegung. Inzwischen leben in den mehr als eine Million Sozialwohnungen in Deutschland häufig Menschen, die gut verdienen, zumindest mehr, als sie dürften.

Denn wer eine Sozialwohnung beziehen will, darf bestimmte Einkommensgrenzen nicht überschreiten. In Bayern zum Beispiel. Wer hier in eine Sozialwohnung ziehen und dabei höchsten Vorrang genießen will, darf nach Angaben des Sozialministeriums als Alleinstehender im Jahr nicht mehr als 12 000 Euro netto verdienen, bei zwei Personen sind es 18 000 Euro plus Zuschläge für Kinder und weitere Haushaltsmitglieder.

Bei einer Neuvermietung werden der Verdienst des Antragstellers und die Zahl der Bewohner deshalb von den Wohnungs- oder Sozialämtern der Kommunen streng geprüft. Doch was danach passiert, ob jemand ausziehen müsste, weil das Einkommen zu hoch geworden ist oder etwa der Ehepartner gestorben ist, wissen die Behörden meist nicht mehr. Melden müssen die Mieter sich jedenfalls nicht, wenn sie die Verdienstgrenze überschreiten. Auch von sich aus überprüfen die Behörden die Einkommen nicht - der Verwaltungsaufwand ist ihnen zu hoch. Dies führt dazu, dass in vielen geförderten Wohnungen Menschen leben, die dort eigentlich nicht sein dürften. Ausziehen müssen sie aber nicht. Kommunalpolitiker scheuen sich oft davor, die sogenannten Fehlbeleger aus den Wohnungen zu werfen.

Allein in Berlin dürfte ein Drittel aller Sozialwohnungen nicht von Bedürftigen belegt sein

Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) rechnet vor, dass die Verdienste von 54 Prozent aller Sozialmieter über den jeweiligen Einkommensgrenzen liegen. Andere Experten halten diese Zahlen für überhöht. Sie gehen aber immerhin von einer Fehlbelegung in den Großstädten von 20 bis 30 Prozent aus. Auch in Berlin gilt ein Drittel des Bestandes als fehlbelegt.

Das Problem ist seit Langem bekannt. Trotzdem haben fast alle Länder Strafabgaben auf Fehlbeleger wieder abgeschafft - aus zwei Gründen: Der Aufwand, unberechtigte Sozialmieter herauszufischen, gilt als sehr hoch. Außerdem wollen die Kommunen vermeiden, dass Gettosiedlungen für sozial Schwache entstehen; viele Sozialmieter, die mehr verdienen, ziehen ohnehin von sich aus in andere Bleiben. Hessen hat die Fehlbelegungsabgabe, die es in dem Bundesland zwischen 1993 und 2011 schon einmal gab, im Sommer 2016 wieder eingeführt. In Frankfurt muss sie etwa jeder zehnte Haushalt in einer Sozialwohnung zahlen. Immerhin fünf Millionen Euro hat die Stadt dadurch binnen eines Jahres eingenommen.

Statt mehr Sozialwohnungen zu bauen, schlägt IW-Immobilienexperte Michael Voigtländer den Kommunen vor, Belegungsrechte im Wohnungsbestand zu erwerben. Sie erhalten dann gegen die Zahlung einer Prämie an die Vermieter das Recht, die Mieter auszuwählen. Eine Alternative ist, das Wohngeld auszubauen. Wer zu viel verdient, bekommt kein Geld mehr vom Staat. Die Hilfe kommt so besser bei denen an, die sie wirklich brauchen. Wenn sozial Schwache keine Bleibe finden oder Vermieter Flüchtlinge oder Alleinerziehende partout nicht als Mieter haben wollen, nützt allerdings auch das beste Wohngeld nichts.

© SZ vom 24.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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