Handelsstreit mit den USA:Fünf Wochen Hoffnung

Lesezeit: 5 min

Was will Donald Trump mit dem Aufschub der Strafzölle erreichen? Beim EU-Gipfel macht sich Ratlosigkeit breit.

Von Michael Bauchmüller, Christoph Giesen und Alexander Mühlauer

Wie gut, dass es nach so einer Nacht Politiker gibt, die sich nicht hinter diplomatischen Floskeln verstecken, sondern sagen, was sie denken. Als Charles Michel am Freitagmorgen im EU-Ratsgebäude eintrifft, stellt er sich vor die Kameras und erklärt, "dass die Vereinigten Staaten bereit sind, mit der EU zu verhandeln, indem sie uns einen Revolver an die Schläfe setzen". So sei jedenfalls sein Eindruck, sagt der belgische Premierminister, nachdem klar wurde, dass die USA den Europäern eine Frist bis 1. Mai gewährt haben, gute fünf Wochen. So lange bleiben die EU-Staaten von Zöllen auf Stahl und Aluminium ausgenommen. Auch nach Mitternacht war das noch ungewiss, sodass die Staats- und Regierungschefs ihre Debatte vertagten. Nur: Am Freitag wissen sie auch nicht viel mehr. Keiner kann sagen, was der Mann mit dem Revolver genau vorhat.

Die Gipfelerklärung ist dann der Versuch, Donald Trump nicht unnötig zu reizen. Die EU nimmt die Entscheidung des US-Präsidenten "zur Kenntnis" und fordert, dass "diese Ausnahme dauerhaften Charakter erhält". Auch wenn die Europäer natürlich erleichtert sind, dass sie von den Zöllen bis auf Weiteres verschont bleiben, "bedauern" sie Trumps Ankündigung. Den Staats- und Regierungschefs ist es wichtig festzuhalten, dass sich diese Maßnahmen "nicht mit Gründen der nationalen Sicherheit rechtfertigen" lassen.

China strebte nach dem Schulterschluss mit den Europäern - und nun das

Die große Schwester der Erleichterung ist die Ratlosigkeit. Denn wie es nun weitergeht, bleibt unklar. EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström schreibt auf Twitter: "Wir freuen uns nun auf die Fortsetzung des Dialogs mit den USA über Handelsfragen von gemeinsamem Interesse, wie etwa die weltweite Überkapazität bei Stahl." Diese Gespräche sollten keinen künstlichen Fristen unterliegen. Im Übrigen behalte sich die EU die Möglichkeit offen, "unsere Rechte in der Welthandelsorganisation (WTO) für weitere Maßnahmen zu wahren". Ob die Europäische Union ihre Liste mit Vergeltungszöllen bei der WTO einreicht, hängt von den künftigen Gesprächen mit den Amerikanern ab.

Bislang sind die USA von ihren Forderungen nicht abgerückt. Washington will, dass die EU weniger Stahl als bisher in die USA exportiert. Die Europäer sollen außerdem ihre Militärausgaben deutlich erhöhen. Die EU will die Themen Verteidigung und Handel aber keinesfalls verknüpfen. Am ehesten konnten die Europäer die Verhandler in Washington mit ihrer Haltung gegenüber China überzeugen. Nach Lage der Dinge eint EU und USA am ehesten die Angst vor der Flut chinesischer Stahl- und Aluminiumimporte. Wobei eben jene Einfuhren künftig vermehrt nach Europa kommen dürften, weil der amerikanische Markt sich mit Zöllen schützt.

Also, was tun? In Berlin tritt am Freitag Wirtschaftsminister Peter Altmaier vor die Presse. Er könnte wissen, was Washington vorhat, schließlich war er, ebenso wie Malmström, diese Woche bei seinem US-Amtskollegen Wilbur Ross und dem Handelsbeauftragten Robert Lighthizer. Aber auch Altmaier weiß nicht, wie es konkret weitergeht, wer wann mit wem spricht. Immerhin öffne sich nun ein "Zeitfenster", in dem man mit den Amerikanern verhandeln könne. "Wir werden um Lösungen kämpfen", sagt Altmaier. "Es eint uns mehr, als uns trennt."

Nach dem Brüsseler Gipfel positioniert sich die Bundeskanzlerin neben Frankreichs Präsidenten. Seit Emmanuel Macron in Paris regiert, ist Angela Merkel dazu übergegangen, gemeinsam mit ihm vor die Presse zu treten. Es ist dann Macron, der das Revolver-Bild von Charles Michel aufnimmt und in Richtung Trump sagt: "Wir sprechen über nichts, wenn uns die Pistole an die Schläfe gelegt wird." Und: "Wir werden keinerlei Schwäche zeigen." Merkel wiederum dankt Malmström für ihren Einsatz, um mit den Amerikanern im Gespräch zu bleiben. Die EU wolle "nicht in eine Spirale kommen, wo am Ende alle verlieren". So entschlossen das klingt, so unklar ist, was nun passiert.

Auch in Peking herrscht Ratlosigkeit. Wie soll es weitergehen, nachdem Trump tatsächlich ein Dekret unterzeichnet hat, das Zölle in Höhe von 60 Milliarden Dollar vorsieht. Gegenschlag? Oder abwarten?

Mit den Strafzöllen hatten sie gerechnet in den Ministerien und im Parteiapparat, spätestens seitdem Ende Februar der neue Vizepremierminister Liu He bei seiner Reise nach Washington überall abgeblitzt war. Es werde nicht mehr verhandelt, bekam er zu hören. Also handelte Peking. Die große Furcht der Chinesen ist ein Zweifrontenkrieg. Hier die Amerikaner und dort die Europäer. Und in der Mitte China. In den vergangenen Tagen antichambrierte deshalb Chinas allmächtiger Staats- und Parteichef Xi Jinping persönlich. Das allererste Gespräch nach seiner Wiederwahl zum Staatspräsidenten führte er nicht etwa mit Wladimir Putin oder Kim Jong-un, sondern mit Kanzlerin Merkel. Minutenlanges Süßholzraspeln am Telefon, nicht der Hauch einer Kritik. Wenige Tage später klingelte es bei Macron. Das Anliegen Chinas: Wenn der Handelskrieg sich schon nicht vermeiden lässt, sollen die USA wenigstens isoliert werden. Danach sieht es aber nicht mehr aus. Kurz bevor Trump China zum ökonomischen Duell herausforderte, hatte Washington bekannt gegeben, die EU von Stahl- und Aluminiumzöllen auszunehmen.

Lange Zeit war man sich in Peking sicher, das Phänomen Trump verstanden zu haben. Als man in Paris, London und Berlin sich fragte, ob man wirklich mit der mandatslosen Präsidententochter Ivanka oder gar dem Schwiegersohn Jared Kushner sprechen solle, handelte China ganz pragmatisch. Ivanka Trump wurde in die chinesische Botschaft zu den Frühlingsfest-Feierlichkeiten eingeladen. Und ein Video von Trumps Enkelin Arabella, in dem diese auf Chinesisch singt, machte im Netz die Runde. Als Trump schließlich im vergangenen Herbst nach China reiste, ließ die Führung Wirtschaftsverträge (fast nur Absichtserklärungen) im Wert von 250 Milliarden Dollar unterzeichnen. Trump liebt ja Deals. Und nun das.

Xi Jinping hat auf Nationalismus gesetzt, nun wird im Land eine scharfe Reaktion erwartet

Am Freitag kündigt das chinesische Handelsministerium schließlich an, Zölle im Gegenwert von drei Milliarden Dollar einzuführen. Auf Schweinefleisch aus den USA könnte demnach eine Einfuhrtaxe in Höhe von 25 Prozent erhoben werden. Für Stahlrohre, Früchte und Wein sollen jeweils 15 Prozent anfallen. Insgesamt habe China eine Liste von 128 Produkten erstellt, auf die Zölle erhoben werden könnten. Technisch betrachtet, handelt es sich dabei allerdings nicht um die eine direkte Antwort auf Trumps 60-Milliarden-Drohung, sondern es ist die chinesische Reaktion auf die Stahl- und Aluminiumzölle, von denen China anders als die EU nicht ausgenommen werden soll.

Das Handelsministerium ruft die USA dazu auf, den Konflikt noch durch Gespräche zu lösen, um "einen Schaden für die gegenseitigen Beziehungen zu verhindern". China werde sich jedoch "nicht einfach zurücklehnen" und seine "legitimen Interessen verteidigen". Doch wie? Peking steckt in einem Dilemma. In der Volksrepublik selbst wird eine scharfe Reaktion erwartet. Xi setzt auf Nationalismus im Inland, ein weicher Kurs schadet da nur. Ökonomisch hingegen ist das Wahnsinn. Fast 20 Prozent der chinesischen Exporte gehen in die USA, das macht etwa vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Und das Land will doch wachsen.

Wahrscheinlich ist, dass Peking sehr selektiv vorgehen wird. Im Herbst stehen in den USA die Midterm-Wahlen an. Das Repräsentantenhaus wird neu gewählt sowie ein Drittel Senatoren. Denkbar wäre, dass China just Produkte und Waren jener Hersteller mit Strafzöllen belegen wird, die in Bundesstaaten fertigen, die bei der Präsidentschaftswahl für Trump stimmten. Rotwein aus dem Napa Valley? Eher nicht. Kalifornien ist stramm demokratisch. Stattdessen könnten Zölle auf Sojabohnen und andere Agrarprodukte erhoben werden. Davon wären vor allem Landwirte betroffen, von denen viele als Trump-Unterstützer gelten. In Brüssel liegen ganz ähnliche Pläne in der Schublade.

© SZ vom 24.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: