Großbritannien:Westminster aufmischen

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Eine Partei kommt nicht zur Ruhe: Parlaments-Abgeordnete von Labour rebellieren in Großbritannien gegen die Interims-Führung unter Harriet Harman. Als neuer Chef der Arbeitspartei hat nun ein Linksaußen gute Chancen.

Von Christian Zaschke, London

Wie sehr die britische Labour-Partei noch immer damit beschäftigt ist, ihre Wahlniederlage vom Mai zu verarbeiten, zeigt sich daran, dass nun offene Flügelkämpfe ausgebrochen sind. Der frühere Labour-Politiker und vormalige Innenminister David Blunkett sagte am Dienstag, es sei offensichtlich, dass die Partei an einem "emotionalen Trauma" leide. Konservative Abgeordnete nehmen die Probleme so erfreut zur Kenntnis, dass sich viele von ihnen in den sozialen Medien über die zersplitterte Opposition belustigen.

Am Montagabend hatte nach fünfstündiger, äußerst lebhafter Debatte im Unterhaus eine Abstimmung darüber angestanden, ob die geplanten Sozialkürzungen der konservativen Regierung auf den Weg durchs Parlament gebracht werden sollen. Die Labour-Führung verhängte Fraktionszwang: Die Partei sollte sich geschlossen enthalten, um den Wählern zu signalisieren, dass sie nicht grundsätzlich jede Kürzung von Sozialleistungen ablehne. Interims-Chefin Harriet Harman war zu der Ansicht gelangt, dass das eine der Lehren sei, die aus der Wahlniederlage gezogen werden müssten.

Knapp ein Viertel der Labour-Abgeordneten stimmte jedoch entgegen der ausdrücklichen Anweisung der Parteispitze gegen die Pläne der Tories. Der Abgeordnete John McDonnell fasste seine Haltung zum Thema am deutlichsten zusammen. Er sagte: "Ich würde durch Erbrochenes schwimmen, um gegen diesen Entwurf zu stimmen, und nachdem ich manche der widerlichen Reden hier gehört habe, glaube ich, dass wir genau das tun müssen." Die Stimmung in der Partei ist seither, vorsichtig gesagt, angespannt.

Das liegt auch daran, dass einer der Rebellen Jeremy Corbyn war, der sich wie drei weitere Politiker um den Parteivorsitz bewirbt. Im September wählen die Labour-Mitglieder eine neue Führung. Corbyn ist der Kandidat, der politisch mit Abstand am weitesten links steht.

Wer für den Parteivorsitz kandidieren wollte, musste bis Anfang Juni eine bestimmte Anzahl an Nominierungen von Abgeordneten zusammenbringen. Corbyn schaffte das erst in letzter Minute, und viele, die ihn nominiert hatten, gaben an, sie hätten das nur getan, um die Debatte zu beleben. In der Fraktion herrscht mehrheitlich die Ansicht, Labour könne die nächste Wahl in fünf Jahren nur gewinnen, wenn die Partei wieder in die Mitte rückt.

Nichts verzückt Konservative mehr als die Vorstellung eines Oppositionschefs Corbyn

Jüngsten Umfragen zufolge ist jedoch der 66 Jahre alte Corbyn der beliebteste Kandidat bei der Basis. Durch seine Ablehnung der Sozialkürzungen entgegen der verordneten Parteilinie hat er seine Glaubwürdigkeit bei der linken Basis nun noch weiter gefestigt. Den Strategen in der Parteizentrale schwant daher allmählich, dass die Wahl zum Parteivorsitzenden ganz anders ausgehen könnte als geplant: Es ist gut möglich, dass der Mann, der die Debatte lediglich ein wenig würzen sollte, bald Chef der Debatten ist.

Für Labour würde das einen Linksruck bedeuten. Corbyn hat die Neu-Erfindung der Partei als New Labour unter Tony Blair stets abgelehnt. Das zeigte sich in seinen klaren und konsequenten politischen Einlassungen, und das zeigte sich in seinem Gesicht: Aus Protest gegen das glatte Image, das Blair der Partei verpasst hatte, ließ sich Corbyn einen schönen Bart stehen, was wiederum dazu führte, dass er fünf Mal den Preis für den "Parlamentarischen Bart des Jahres" gewann.

Konservative lassen in diesen Tagen lächelnd verlauten, sie hofften sehr, dass Corbyn Parteichef werde, weil auch sie davon ausgehen, dass Labour ihnen nur als Partei der Mitte gefährlich werden kann. Der konservative Daily Telegraph geht mit besonderer Verve zu Werke: Seit Tagen spricht er sich energisch für Corbyn als neuen Labour-Chef aus, er hat eine regelrechte Kampagne gestartet. Offen schreibt der Telegraph, warum: Nach Ansicht des Blattes würde die Wahl Corbyns das Ende von Labour als ernst zu nehmender Partei bedeuten.

© SZ vom 22.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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