Großbritannien:Sich fügen heißt lügen

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Der Seelenzustand von John Salisbury-Baker ist "ausgehöhlt" - sagt sein Anwalt. Denn der Staat zwang den britischen Militärsprecher, die Unwahrheit zu sagen. Jetzt klagt der Öffentlichkeitsarbeiter.

W. Koydl

Zyniker würden vermutlich gleichgültig mit den Achseln zucken. Dass es ein Pressesprecher mit der Wahrheit nicht immer genau nehmen sollte, so lautet vermutlich nicht nur ihre Überzeugung, sei doch wohl eher eine zwingende Vorbedingung für seine Beschäftigung und kein unangenehmes Nebenprodukt seiner beruflichen Tätigkeit.

John Salisbury-Baker hat sein Job große Sorgen bereitet. (Foto: Foto: Reuters)

John Salisbury-Baker freilich sieht das anders. Der 62-jährige ehemalige Militärsprecher verklagt seinen Arbeitgeber, das britische Verteidigungsministerium, auf Schadenersatz, weil es ihn gezwungen habe, Lügen zu erzählen. Dies, so führt er in der soeben vorgelegten Anklageschrift aus, habe seine posttraumatische Belastungsstörung derart verschärft, dass er nicht länger arbeiten konnte.

Leiden mit den Opfern

Vor der Londoner Hauptstadtpresse musste Salisbury-Baker nie auftreten, sondern nur vor den Lokalzeitungen in der Grafschaft Yorkshire im Nordosten Englands. Dort arbeitete er elf Jahre lang als ziviler Medienvertreter der Imphal-Kaserne. Der weitaus wichtigere Teil seiner Tätigkeit bestand freilich darin, die Angehörigen von im Irak oder in Afghanistan gefallenen britischen Soldaten dabei zu beraten, wie sie mit dem Medien-Interesse umgehen könnten - und bei dieser Gelegenheit zu bekräftigen, dass das Verteidigungsministerium alles Menschenmögliche getan habe, um ihre Söhne oder Ehemänner zu schützen.

Doch der Pressemann musste nur die Zeitungen lesen um zu erkennen, dass dies nicht stimmte. Denn weder Kugelschutzwesten noch Patrouillenfahrzeuge boten ausreichenden Schutz. Vor allem die von der Armee eingesetzten, leicht gepanzerten Land Rover vom Typ Snatch haben sich in der Vergangenheit oft als Todesfallen für die Truppe erwiesen. Mindestens 37 Soldatinnen und Soldaten starben seit 2005 in Afghanistan und im Irak, weil ihre Fahrzeuge von Bomben zerfetzt wurden. "Ihn quälte vor allem der Gedanke, dass einige der trauernden Familien, die er besuchte, vorher geglaubt haben könnten, dass ihre Angehörigen sicher waren, weil er dies selbst gegenüber den Medien bekräftigt hatte", sagte Christine Brook, die Lebensgefährtin des Ex-Sprechers.

Medienschild zum Schutz

Nach ihren Worten stammten 30 Prozent der im Irak gefallenen Soldaten aus dem englischen Nordosten. Salisbury-Bakers Aufgabe sei es gewesen, sie hinter einem "Medienschild" abzuschirmen - oft nur wenige Stunden, nachdem sie die Todesnachricht erfahren hatten. Nachdem er das Leiden der Soldatenfamilien gesehen habe, so seine Partnerin, sei er nicht mehr imstande gewesen, die "moralisch unhaltbare" offizielle Linie zu vertreten. Dies habe zu "unhaltbarem Stress" und zu einer Verschlimmerung seiner Krankheit geführt, von der sein Arbeitgeber gewusst habe.

Doch das Ministerium habe seiner Behinderung nicht Rechnung getragen. "Was John sagen würde, ist: Ich wurde unter unglaublichen Druck gesetzt - ohne Rückendeckung oder entsprechendes Training", fügte Salisbury-Bakers Anwalt hinzu. "Nach und nach erkannte er, dass das, was man ihm sagte, nicht stimmte, und dass diese Tatsache auf einer höheren Ebene längst bekannt war." Allmählich, so der Anwalt weiter, sei auf diese Weise "der Seelenzustand" seines Mandanten "ausgehöhlt" worden. Mit einem Beginn des Prozesses wird erst in mehreren Monaten gerechnet. Das Ministerium selbst gab keine Stellungnahme ab. Dies sei unangemessen, solange das Verfahren laufe, erklärte ein Sprecher in London. Und das war wohl nicht einmal gelogen.

© SZ vom 6.8.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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