Großbritannien:Schwach und zerstritten

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Der zweite Rücktritt in sieben Tagen: Die britische Ministerin Priti Patel muss gehen, weil sie gegen "Standards für Transparenz und Offenheit" verstoßen hat. Für Premierministerin May wird die Lage immer enger.

Von Björn Finke, London

Einen Aufstand in der konservativen Partei kann sich Theresa May nicht leisten. Die Premierministerin vor 10 Downing Street in London. (Foto: Daniel Leal-Olivas/AFP)

Flug KQ 100 von Kenya Airways startete am Morgen um 6.35 Uhr Londoner Zeit in Nairobi, der Hauptstadt des Landes. Er landete um 15.15 Uhr in London-Heathrow. Während der fast neun Stunden an Bord hatte Priti Patel also einige Zeit, sich auf ihr Treffen mit Premierministerin Theresa May vorzubereiten. May hatte ihre Entwicklungshilfeministerin vorzeitig von einem Afrikabesuch zurückbeordert. Am Mittwochabend, nach einem Gespräch in 10 Downing Street, trat Patel zurück. Nachfolgerin wird Penny Mordaunt, bisher Staatssekretärin im Arbeitsministerium.

Patel, die das Ministerium seit Sommer 2016 leitete, musste gehen, weil sie während eines Urlaubs in Israel und danach Regierungsvertreter des Landes getroffen hatte, darunter Premier Benjamin Netanjahu. Dem Außenministerium oder ihrer Chefin May hatte sie das nicht angekündigt. Als die Geschichte herauskam, behauptete die 45-Jährige zunächst, Außenminister Boris Johnson habe Bescheid gewusst. Kurz darauf musste sie einräumen, dass das gelogen war. In ihrem Rücktrittsschreiben erklärte die Konservative, sie habe gegen "Standards für Transparenz und Offenheit" verstoßen.

Mit Patel verliert May schon das zweite Kabinettsmitglied in nur sieben Tagen. Vergangene Woche musste Verteidigungsminister Michael Fallon gehen, nach Vorwürfen, er habe Frauen unsittlich angefasst. Die Skandale und Rücktritte belasten eine Regierung, die ohnehin schwach und zerstritten ist. Und weitere Abgänge könnten folgen. Denn auch gegen Mays Stellvertreter Damian Green läuft eine Untersuchung.

Der enge Vertraute Mays soll einer Frau unangemessene Avancen gemacht haben. Außerdem fand die Polizei angeblich 2008 bei einer Durchsuchung wegen eines anderen Verfahrens verstörende, aber legale Pornografie auf seinem Dienstrechner. Der Politiker bestreitet die Vorwürfe.

Zudem erlaubte sich Außenminister Boris Johnson einen weiteren seiner gefürchteten Ausrutscher. Darum werden mal wieder Rücktrittsforderungen laut. Die Britin Nazanin Zaghari-Ratcliffe wurde im vergangenen Jahr in Iran festgenommen, als sie von Ferien bei ihren Verwandten nach Großbritannien zurückfliegen wollte. Der Vorwurf: Sie soll in Iran Journalisten ausgebildet haben, damit diese Propaganda gegen das Regime verbreiten. Die Britin bestreitet das, trotzdem wurde sie zu fünf Jahren Haft verurteilt.

Johnson sagte einem Ausschuss des britischen Parlaments, die Frau habe "einfach nur Leuten Journalismus beigebracht". Er stellte die Vorwürfe des iranischen Regimes also als Tatsache dar. Das iranische Staatsfernsehen griff die Äußerungen begierig auf, als Beleg, dass Zaghari-Ratcliffe tatsächlich eine Spionin sei. Ihre britische Familie befürchtet, dass ihr nun noch längere Haft droht.

Trotz Fehlleistungen in Serie hält May an Johnson fest. Der stets bewusst schlecht frisierte Politiker ist Anführer der Brexit-Fans in Kabinett und Partei. Ihn zu degradieren oder rauszuwerfen, würde all jene gegen May aufbringen, die einen harten Bruch mit der EU fordern. Einen Aufstand kann sich May nicht leisten. Seit dem Debakel bei den Neuwahlen im Juni kann sie ohnehin nur regieren, weil die nordirische Regionalpartei DUP ihr eine Mehrheit verschafft.

Bereits der Abgang von Patel erzürnte manche EU-Gegner in Mays Partei. Der erzkonservative Abgeordnete Jacob Rees-Mogg sagte, offenbar seien einige Europafreunde "sehr verbittert" über das Ergebnis der Volksabstimmung, und das zeige sich in ihrem Verhalten gegenüber Patel. Die Tochter indischstämmiger Flüchtlinge aus Uganda war ein prominentes Gesicht der Brexit-Kampagne. Unter anderem argumentierte sie, nach dem Austritt könnten wieder mehr Einwanderer aus Indien und Pakistan ins Königreich kommen, statt der ganzen Osteuropäer. Ihre Nachfolgerin als Ministerin, die 44-jährige Penny Mordaunt, kämpfte ebenfalls für den Austritt aus der EU.

Der frühere Verteidigungsminister Michael Fallon hatte vor dem Referendum für den Verbleib in der Union geworben - genau wie sein Nachfolger Gavin Williamson: EU-Gegner wird durch EU-Gegner ersetzt, Europafreund durch Europafreund. So bleibt das Machtgefüge erhalten in einem Kabinett, das beim Thema Brexit heillos zerstritten ist. Schatzkanzler Philip Hammond setzt sich für einen langen und sanften Übergang ein, um Unternehmen und Banken nicht zu belasten. Johnson und andere Brexit-Vorkämpfer lehnen das ab. Die Uneinigkeit erschwert die Verhandlungen mit Brüssel, die am Donnerstag fortgesetzt wurden . Und nun wird die Regierung auch noch von Skandalen und Rücktritten abgelenkt. Der Zeitpunkt könnte kaum schlechter sein.

© SZ vom 10.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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