Großbritannien:Ping Pong ums Bleiberecht

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Demonstranten in London zeigen mit europäischen Flaggen, dass sie nichts von den Plänen ihrer Regierung halten, die Grenzen für andere EU-Bürger zu schließen. (Foto: Justin Tallis/AFP)

Was geschieht mit den EU-Ausländern, die in Großbritannien leben? Die Regierung will sich nicht festlegen, doch schon ab März könnte es Einreisebeschränkungen geben.

Von Christian Zaschke, London

Für die etwa 3,6 Millionen in Großbritannien lebenden EU-Ausländer sind es Tage, Wochen und Monate der Unsicherheit. Ob und unter welchen Bedingungen sie in dem Land bleiben können, das sie zu ihrem permanenten Wohnsitz oder gar ihrer Heimat gemacht haben, ist seit dem Brexit-Referendum vom vergangenen Jahr unklar, und die britische Regierung tut wenig dafür, diese Unklarheit zu beseitigen. Zwar betont Premierministerin Theresa May hin und wieder, man sei an einer raschen Lösung im Interesse aller interessiert, doch konkrete Folgen haben diese Worte bisher nicht.

In der Praxis sind die im Land lebenden EU-Bürger Teil der Verhandlungsmasse, wenn die Briten den Austrittsprozess im kommenden Monat gemäß Artikel 50 der EU-Verträge offiziell einleiten wollen. Die Regierung will die Rechte von EU-Bürgern erst garantieren, wenn sie im Gegenzug Zusicherungen für die etwa 1,2 Millionen Briten erhält, die permanent auf dem Kontinent leben. Das ist nach Ansicht der meisten Beobachter eine Formalie, doch die Verunsicherung führt dazu, dass sich die Zahl der EU-Bürger, die sich in Großbritannien um permanentes Bleiberecht bewerben, seit dem Referendum verdoppelt hat. Einen solchen Antrag kann stellen, wer mindestens fünf Jahre lang ununterbrochen im Vereinigten Königreich gelebt hat.

Es könnte sein, dass London schon vor Vollzug des EU-Austritts Einreisestopps verhängt

In der zweiten Jahreshälfte 2016 wurden 12 800 solcher von EU-Bürgern eingereichten Anträge abgelehnt, weitere 5500 für ungültig erklärt. Das heißt, dass 28 Prozent aller Anträge nicht erfolgreich waren. Dies geht aus den neuesten Einwanderungsdaten hervor. Sollten sich nach dem Brexit alle bereits im Land lebenden EU-Ausländer um permanentes Bleiberecht bewerben müssen, und sollte die Ablehnungsquote konstant bleiben, hieße das, dass etwa 900 000 Menschen nicht wüssten, ob oder zumindest unter welchen Auflagen sie in Großbritannien bleiben können.

Dieser Punkt wird eine bedeutende Rolle in der Brexit-Debatte im Oberhaus spielen, die Mitte dieser Woche fortgesetzt wird. Es geht dabei um das Gesetz, das es May erlaubt, Brüssel auch offiziell vom Austrittswunsch der Briten zu unterrichten. Das Unterhaus hat das Gesetz Anfang des Monats bereits verabschiedet. Nach bisherigem Verlauf der Debatte könnte es sein, dass eine Mehrheit im Oberhaus zustimmt, aber einen Zusatz zum Gesetz verlangt, der die Rechte von im Land lebenden EU-Bürgern garantiert. Darüber könnte schon am Mittwoch entschieden werden, endgültig stimmt das Oberhaus über die Brexit-Fragen voraussichtlich am 7.

März ab. Sollte das Oberhaus diese Änderung verlangen, kehrte das Gesetz ins Unterhaus zurück, wo das Gesuch allerdings abgelehnt und zurück ans Oberhaus verwiesen werden könnte. In diesem Fall könnte das Gesetz eine Weile zwischen beiden Häusern hin- und herwandern, im Jargon von Westminster wird das "Ping Pong" genannt. Das wiederum könnte bedeuten, dass Theresa Mays Zeitplan in Gefahr geriete. Sie will den Austrittsprozess bis spätestens Ende März einleiten.

Zuletzt hieß es in Westminster, dass die Regierung ungefähr den 20. März als offiziellen Beginn des Austrittsprozesses anpeile. Der Daily Telegraph berichtete am Montag unter Berufung auf Regierungsquellen, dass mit der offiziellen Unterrichtung in Brüssel auch die Freizügigkeit de facto ende. Wer also nach diesem Datum nach Großbritannien einreise, werde nur beschränkt und unter Auflagen bleiben können. Die Regierung teilte dazu mit, es gebe diesbezüglich noch kein Datum.

In Brüssel besteht der Wunsch, dass die Briten die Rechte von neu ins Land kommenden EU-Bürgern erst einschränken, wenn der Austritt vollzogen ist, also voraussichtlich Ende März 2019. Erst wer nach diesem Datum einreise, solle unter die neuen Einwanderungs-Regeln fallen. Die britische Regierung befürchtet jedoch, dass in diesem Fall die Einwanderung aus EU-Staaten in den kommenden zwei Jahren dramatisch steige. Ein Regierungsmitarbeiter sagte laut Telegraph: "Wenn wir so lange warten, könnten halb Rumänien und halb Bulgarien hierhinkommen."

Wie die neuen Beschränkungen für EU-Ausländer aussehen werden, ist weiter unklar. Innenministerin Amber Rudd teilte mit, man prüfe mehrere Optionen und werde sich mit der Wirtschaft und Arbeitgebern absprechen, um ein System zu finden, das dem Wachstum nicht im Weg stehe. Brexit-Minister David Davis sagte, sicher werde es keinen abrupten Einreisestopp geben. Es werde noch "Jahre und Jahre" dauern, bis Briten das Gros der Jobs übernehmen könnten, die Einwanderer aus der EU innehaben. Das gelte besonders für den Dienstleistungssektor und das Gesundheitssystem.

© SZ vom 28.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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