Großbritannien:Nebel in London

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Premier David Cameron hat sich mal wieder zum Referendum über die EU geäußert. Bei den Tories hat dies eher Verwirrung gestiftet, denn nun rätseln sie, welchen Spielraum sie vor der Abstimmung haben.

Von Christian Zaschke, London

Am Montagmorgen herrschte in Westminster Aufregung beim europaskeptischen Flügel der britischen Konservativen. Premierminister David Cameron hatte sich am Rande des G-7-Gipfels zum geplanten Referendum über die britische EU-Mitgliedschaft geäußert. Das soll zwar erst frühestens im kommenden Jahr und bis spätestens Ende 2017 stattfinden; Cameron wird jedoch jetzt schon bei so gut wie jeder Pressekonferenz nach Details gefragt. Diesmal ging es darum, ob es Regierungsmitgliedern erlaubt sein würde, für einen Austritt zu werben. Cameron sagte: "Wer Teil der Regierung sein will, muss die Ansicht vertreten, dass wir uns in einem Prozess der Neuverhandlung befinden, um eine Volksabstimmung abzuhalten, die zu einem erfolgreichen Ergebnis führt." Zudem hätten alle Regierungsmitglieder dem Wahlprogramm zugestimmt.

Diese Äußerungen wurden in Westminster dahingehend interpretiert, dass aus der Regierungsmannschaft zurücktreten müsse, wer nicht für den Verbleib in der EU sei. Mehrere Zeitungen hoben das Thema auf ihre Titelseiten vom Montag. Daraufhin schwärmten konservative Europaskeptiker aus und gaben Interviews. Der Vorstoß des Premiers sei "unklug", ließ einer wissen. Der Parteichef begehe "einen Fehler", teilte ein zweiter mit. Während Cameron also beim G-7-Gipfel in Deutschland weilte, braute sich in London in seiner Partei ein Sturm zusammen.

Ein Drittel der Konservativen könnte sich in der EU-Frage gegen Premier Cameron stellen

Auf kein anderes Thema reagieren die Tories so sensibel. Derzeit sind etwa 50 Konservative in der Fraktion dafür, die EU auf jeden Fall zu verlassen, ganz gleich, was ihr Chef an Zugeständnissen in Brüssel erreicht. Weitere 50 gelten als sehr EU-skeptisch und würden wohl für einen Austritt stimmen, falls Cameron nicht eine grundlegende Neuordnung des Verhältnisses Großbritanniens zur EU aushandeln kann. Das bedeutet, dass sich unter Umständen ein Drittel der konservativen Fraktion gegen Cameron stellen könnte, der im Prinzip für den Verbleib in der EU ist.

Es dauerte bis Montagmittag, bis Camerons Büro sich zu einer Präzisierung genötigt sah. Keinesfalls habe der Premier gesagt, sämtliche Mitglieder der Regierung müssten vor der Volksabstimmung für den Verbleib in der EU werben, sagte eine Sprecherin. Seine Äußerungen seien "überinterpretiert" worden. Er habe gemeint, dass die komplette Regierungsmannschaft den Prozess der Verhandlungen loyal begleiten müsse. Ob sich Minister vor der eigentlichen Abstimmung gegen die Position der Parteispitze stellen dürften, sei noch offen. Am Montagnachmittag trat Cameron in Elmau vor die Presse und wiederholte die Worte seiner Sprecherin. Die Europaskeptiker in London äußerten sich zufrieden.

Wie sehr das Thema in der Partei Unruhe auslöst, zeigt sich auch daran, dass sich am Montag zwei frühere Kabinettsmitglieder der neuen europaskeptischen Gruppe "Conservatives for Britain" angeschlossen haben. Diese hat bereits 50 Mitglieder - und das erklärte Ziel, den Druck auf den Premier vor dem Referendum möglichst hochzuhalten.

© SZ vom 09.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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