Großbritannien:Nacht der Noten

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Die ehrwürdige Royal Albert Hall hat Ärger mit teuren Tickets.

Von Björn Finke

Es ist eine Mischung aus Klassikabend und Karneval: Jedes Jahr im September geht die "Last Night of the Proms" über die Bühne der Londoner Royal Albert Hall, als Abschluss der "Henry Wood Promenade"-Konzertreihe. Die Besucher schwenken Fähnchen und tragen lustige Hüte, und am Ende schmettern Chor, Solisten und Publikum stets die patriotischen Heuler "Rule, Britannia!" und "Jerusalem" plus natürlich die Nationalhymne. In diesem Jahr - am vergangenen Wochenende - trug die schwedische Wagner-Sopranistin Nina Stemme "Rule, Britannia!" mit Walkürenhelm, Schild und Lanze vor.

Der Abend wird auch im deutschen Fernsehen übertragen; Tickets sind schwer zu bekommen. Doch einige Kulturfreunde müssen sich gar nicht um Eintrittskarten bemühen: Ihnen gehören Sitze in dem prächtigen, 1871 eröffneten Konzertsaal. Insgesamt 1275 der 5272 Sitze in dem Kuppelbau sind Privateigentum, sie können verkauft und vererbt werden. Dieses ungewöhnliche Modell beschert der Royal Albert Hall nun allerdings Ärger. Die Charity Commission, also die Stiftungsaufsicht, verlangt, dass die Satzung des gemeinnützigen Veranstaltungssaals geändert wird. Die Behörde hat dafür jetzt ein Gerichtsverfahren angestrengt.

Die Besitzer der Sessel dürfen jedes Jahr zwei Drittel der Konzerte besuchen, beim übrigen Drittel verkauft das Hallenmanagement die Plätze an die Allgemeinheit. In dem Bau am Hyde Park wird einiges geboten - und nicht nur Klassik. So tritt in zwei Wochen die Jazzsängerin Diana Krall auf, im November Phil Collins. Kurz darauf findet ein Tennisturnier statt. Wollen Platzeigner nicht zu einer Veranstaltung kommen, bei der sie dabei sein dürfen, können sie selbst ihre Karte weiterverkaufen, etwa auf Ticketbörsen im Internet. Bei heiß begehrten Abenden kassieren die Sesselbesitzer dort ein Vielfaches der regulären Preise. Karten für die "Last Night of the Proms" wurden für unverschämte 3000 Pfund offeriert.

Zugleich genießen die Platzbesitzer ein anderes Privileg. Die Halle wird von einem Council of Trustees geführt, einem Treuhänder-Rat. Und laut Satzung müssen 19 der 24 Treuhänder aus dem Kreis der Sitzeigentümer stammen. Vizepräsident des Rats ist Leon Baroukh, ein Immobilieninvestor, dem zusammen mit seiner Familie 47 Sitze gehören. Die sind viel wert: Anfang des Jahres bot ein Makler eine Loge mit zwölf Plätzen an - für umgerechnet 2,75 Millionen Euro.

Der britischen Stiftungsaufsicht missfällt der Einfluss der Sitzeigner. Schließlich ist der Konzertsaal gemeinnützig, genießt darum Steuervorteile. Er wird aber von Menschen kontrolliert, die ganz eigennützig Zigtausende Pfund mit dem Verkauf der Tickets für ihre Sitze verdienen. Die Führung der Royal Albert Hall geht bisher nicht auf die Forderungen nach einer neuen Satzung ein, darum sollen nun die Richter entscheiden.

Dass überhaupt Plätze in Privatbesitz sind, hängt mit der Geschichte der Halle zusammen. Um Geld für das ehrgeizige Bauprojekt zu bekommen, wurden in den 1860er-Jahren Sitze und Logen vorab an Musikliebhaber verkauft. Die Eigner vererbten oder veräußerten sie dann. Jetzt, 150 Jahre später, haben sich diese Sitze zu einem äußerst einträglichen Investment entwickelt.

© SZ vom 15.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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