Großbritannien:Immer Ärger mit den Lords

Lesezeit: 3 min

Ausgerechnet unter den Konservativen wächst der Unmut über das Oberhaus, das eigentlich nichts zu sagen hat - das aber umso lauter tut.

Von Cathrin Kahlweit, London

Der Bestseller-Autor und Englandkenner Bill Bryson hat eine schlechte Meinung vom britischen Oberhaus: "Das House of Lords ist eine weitgehend machtlose, nicht gewählte Institution." Es sei ein interessantes Faktum im politischen Leben Großbritanniens, so Bryson, "dass ein Brite eine nationale Plattform und einen herausgehobenen Status haben kann, nur weil er das Resultat der illegitimen Verbindung eines Monarchen mit einer Obstverkäuferin vor 300 Jahren ist".

Bryson hatte sein vernichtendes Urteil nach einem Besuch in Westminster aufgeschrieben. Der Amerikaner hatte eine ermüdende Debatte auf der Besuchergalerie durchlitten und beobachtet, was auch viele Briten auf die Palme bringt: gut betuchte, grauhaarige Herrschaften auf rosafarbenen Lederbänken, einige träumend, andere schlafend und schnarchend, das Sprechtempo der Redner irritierend langsam, in der Mitte der Lord Speaker auf einer Art pompösem Sofa. Alles sehr gemütlich und altväterlich.

Aber der Schein trügt, jedenfalls in jüngster Zeit. Deshalb sind wieder Stimmen laut geworden, die eine Abschaffung oder doch zumindest eine tief greifende Reform der zweiten Kammer des britischen Parlaments fordern: Diese bestehe, so die Kritik, aus der stolzen Zahl von derzeit 816 Mitgliedern, die nicht gewählt, sondern ernannt sind. Obwohl nicht demokratisch legitimiert, maße sich das Oberhaus an, über Schicksalsfragen des Landes mitzureden.

Das Oberhaus soll das Gesetz bis Freitag verabschieden. (Foto: Dan Kitwood/Getty Images)

Tatsächlich hatten "die Lords" (die Langfassung lautet offiziell "Die sehr ehrenwerten geistlichen und weltlichen Lords des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland, im Parlament versammelt") während der extensiven Debatte über das EU-Austrittsgesetz zuletzt eine wesentliche Rolle gespielt. So wesentlich, dass sich die Regierung regelrecht bedroht fühlte - und eine Heerschar von Brexit-Anhängern unter den Tories mit ihr.

Das Oberhaus hat eine vor allem beratende Funktion. Es kann Gesetze nicht verhindern, aber es kann sie aufschieben oder Änderungsvorschläge machen. Dem Unterhaus hatte es eine Handvoll Vorschläge zum Brexit vorgelegt: Großbritannien solle in einer Zollunion bleiben, eventuell auch im Binnenmarkt, das Parlament müsse beim Vertrag mit Brüssel mitreden können. Letztlich nahm das Unterhaus keinen davon an. Aber die Lords befeuerten die Debatte im Parlament so stark, dass die Premierministerin Abweichlern in den eigenen Reihen entgegenkommen musste, um Abstimmungsniederlagen im Unterhaus zu verhindern. Euroskeptiker warfen dem Oberhaus daraufhin vor, den Brexit zu sabotieren. "Haben die Lords ihre Kompetenzen überschritten?", fragte die Financial Times. Und die Daily Mail machte sich für eine radikale Lösung stark: "Es ist Zeit, den Lords den Saft abzudrehen."

Tatsächlich kursieren schon seit Jahre n Vorschläge für eine Reform der antiquierten Institution. Man solle daraus einen Bundesrat nach deutschem Vorbild machen, heißt es, oder auch eine Nationen-Kammer, in der Waliser, Iren, Schotten und Engländer repräsentiert wären. Durchgesetzt hat sich bisher keine Variante. Doch nun hat die Wut der Brexiteers auf die "von Brüssel bezahlten Lobbyisten" den Streit neu befeuert. Den Beweis trat am vergangenen Montag ein Labour-Abgeordneter an: Er brachte einen Antrag ein, das House of Lords durch eine Mischung aus Experten und gewählten Volksvertretern zu ersetzen. Eine Petition für eine Volksabstimmung zur Abschaffung des Oberhauses haben bereits 170 000 Briten unterschrieben.

Dabei hat das House of Lords (oder auch House of Peers) schon gewaltige Umwälzungen erlebt - und überlebt. Die Adeligen, die traditionell Anspruch auf einen Sitz im Oberhaus hatten, mussten 1911 einen Teil ihrer Kompetenzen an das Unterhaus abtreten. Mit dem Life Peerages Act von 1958 wurden Frauen zugelassen, außerdem wurde das Erbrecht auf einen Sitz abgeschafft. Von da an zogen mehrheitlich neue Peers ein, die einen Titel auf Lebenszeit erhielten. Die wohl weitreichendste Reform setzte 1999 Labour-Premier Tony Blair durch, unterstützt von einem sozialdemokratisch dominierten Unterhaus: Seither sitzen nur noch etwa hundert erbliche Peers im Oberhaus, der Rest wird auf Lebenszeit ernannt - offiziell als Dank für besondere Leistungen für das Land oder besondere Kenntnisse und Erfahrungen. In der Praxis hat das allerdings zu einem undurchsichtigen System von Ernennungen geführt, das der renommierte Politikwissenschaftler am Londoner King's College, Anand Menon, unverblümt eine "ewige Bestechungsgeschichte" nennt. "Die Unsitte der Patronage", so Menon", sei Basis für den Zugang zum Oberhaus; Privilegien und Status würden über den Umweg der Ernennung zum Peer von Regierungen vergeben - im Tausch gegen Loyalität oder Nützlichkeitserwägungen.

Menon ist kein grundsätzlicher Gegner des Oberhauses, in dem "viel Weisheit" versammelt sei. Allerdings hätten die Lords in der Brexit-Debatte feststellen müssen, dass sie tatsächlich zu weit gegangen seien. "Sie müssen sich den Vorwurf anziehen, dass sie überreagiert haben und das Ergebnis des Brexit in Frage gestellt haben." Maddy Thimont- Jack vom Institute for Government, einem Londoner Thinktank, nimmt die Lords in Schutz: Diese hätte nur ihren Job gemacht. Sie hätten Denkanstöße gegeben; die Hysterie in den Medien, die dem Oberhaus nun Obstruktionspolitik vorwerfe, sei nur ein weiterer Versuch, die Legitimation einer bewährten Institution zu unterminieren.

Die wurde zuletzt auch durch die Studie einer Lobbygruppe namens "Gesellschaft für die Reform des Wahlrechts" untergraben. Die Gruppe hatte sich die Biografien der Mitglieder des Oberhauses näher angeschaut: Die meisten kämen aus dem Großraum London, etwa ein Drittel seien ehemalige Politiker. Das Oberhaus wirke zunehmend wie ein privater Club in Westminster.

© SZ vom 22.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: