Großbritannien:Gemurmel statt Gewitter

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EU oder Nicht-EU, das dürfte selbst am Rande der Pferderennen von Ascot ein Thema sein, die in diesem Jahr nur Tage vor dem EU-Referendum stattfinden. (Foto: Ben Stansall/AFP)

David Cameron will Großbritannien in der EU halten, dafür muss er dem Unterhaus Rede und Antwort stehen: Der Tag im Parlament fällt für den Premier angenehmer aus als erwartet.

Von Christian Zaschke, London

Es dürfte David Cameron klar gewesen sein, dass er die Europaskeptiker nicht überzeugen kann, ganz gleich wie das Ergebnis seiner Verhandlungen über eine neue britische Beziehung zur EU aussehen würde. Die Wucht der Ablehnung, die ihm in Teilen der konservativen Presse entgegenschlug, hat ihn aber womöglich überrascht. Am deutlichsten wurde die Sun. "Sorry, Premierminister", schrieb das Boulevardblatt am Mittwoch, "das stinkt!"

Gemeint war der Kompromissvorschlag, den EU-Ratspräsident Donald Tusk am Dienstag in Brüssel vorgestellt hat. Dieser kommt den Briten weit entgegen und geht auf alle Anliegen des britischen Premierministers ein. Nun ist es an Cameron, den Deal zu Hause zu verkaufen. Dass das nicht einfach wird, wurde am Mittwoch im Unterhaus erneut deutlich.

Zunächst stand die wöchentliche Fragestunde des Premiers an. Auf dieser geht es meist munter zu, bisweilen wird gerufen, geschrien und gebrüllt, dass man sich um den Blutdruck einiger Abgeordneter Sorgen machen muss. Es war erwartet worden, dass Cameron von Europaskeptikern aus den eigenen Reihen gepiesackt werden würde. Doch diese blieben zunächst ruhig. Sie warteten. Man könnte auch sagen: Sie lauerten. Denn sie wussten: Ihre Gelegenheit würde noch kommen.

Lediglich Angus Robertson, Fraktionschef der Scottish National Party (SNP), ging den Premier ein wenig an, indem er forderte, die geplante Volksabstimmung über die EU-Mitgliedschaft dürfe keinesfalls im Juni stattfinden. Als wahrscheinlich gilt, dass Cameron am 23. Juni abstimmen lassen will, kurz vor den Sommerferien. Robertson sagte, dieses Datum liege zu nahe an den Regionalwahlen in Schottland, Nordirland und Wales. Die Ministerpräsidenten der drei Länder haben Cameron am Mittwoch geschrieben und ihn gebeten, die Abstimmung später abzuhalten. Cameron wetterte das gelassen ab. Er sagte, er traue den Wählern durchaus zu, Anfang Mai über regionale Parlamente abzustimmen und einige Wochen später über die EU-Mitgliedschaft.

Er hat nicht das geringste Interesse daran, das Referendum zu verschieben. Nun, da es so aussieht, dass auf der Grundlage von Tusks Kompromissvorschlag auf dem EU-Gipfel Mitte Februar eine Einigung aller 28 Mitgliedsstaaten gefunden werden könnte, will der Premier das Thema so schnell wie möglich vom Tisch haben. Im Anschluss an die Fragestunde informierte er das Parlament über den Stand der Verhandlungen. Cameron pries seine Bemühungen als Erfolg. Er hob hervor, dass Großbritannien künftig vom Ziel der "immer engeren Union" der Mitgliedsstaaten ausgenommen sei. Zentral sei zudem ein Mechanismus, der die Regierung von der Pflicht befreit, Neuankömmlingen aus der EU umgehend Sozialleistungen zu zahlen.

Der Konservative und bekennende Europafreund Kenneth Clarke, seit 46 Jahren Mitglied im Unterhaus, eröffnete die sich anschließende Debatte, indem er sagte, die EU-Gegner in seiner Partei seien so erzürnt, weil der Premierminister viel mehr erreicht habe als erwartet. Diese Äußerung wurde auf den Bänken der Konservativen von einem Grummeln begleitet, das klang wie der Vorbote eines epischen Gewitters. Doch ganz so wild wurde es dann nicht.

Die EU-Gegner machten dem Premierminister deutlich, wie wenig sie von seinem Deal halten. Da sie sich jedoch auf beiden Seiten des Hauses einer deutlichen Mehrheit gegenübersahen, die für den Verbleib in der Union ist, tröpfelten ihre Argumente eher in die Debatte. Wann immer einer der Skeptiker seinem Ärger Luft machte, sprachen anschließend einige Abgeordnete darüber, wie sinnvoll es sei, dass Großbritannien Mitglied des Verbundes bleibe.

Lange musste Cameron fürchten, dass selbst in seinem Kabinett eine Revolte ausbrechen würde

Dass er das Schlimmste überstanden hatte, wusste der Premierminister, als der Londoner Bürgermeister Boris Johnson ihm eine freundliche Frage stellte und damit erstmals andeutete, er könnte sich dem Lager der Pro-Europäer anschließen. Johnson wird von beiden Fraktionen heftig umworben, weil es als sicher gilt, dass er dank seiner Popularität ein entscheidender Faktor in der Abstimmung wird.

Lange musste Cameron fürchten, sich einer Revolte in seinem Kabinett gegenüberzusehen, sollten seine Verhandlungen nicht zu einem befriedigenden Ergebnis führen. Nachdem Außenminister Philip Hammond den Deal gepriesen hat und nun auch Innenministerin Theresa May dem Premierminister ihre Unterstützung signalisierte, kann Cameron sich endlich sicher sein, dass die wichtigsten Minister an seiner Seite stehen. Er selbst wird sich an die Spitze der Befürworter der EU-Mitgliedschaft setzen.

Derzeit gibt es zwei landesweite Anti-EU-Kampagnen, die sich "Vote Leave" beziehungsweise "Leave.EU" nennen und von Pro-Europäern verspottet werden, weil sie fortwährend darüber streiten, wer denn nun die wahre Anti-Kampagne ist. Dem steht eine Pro-EU-Kampagne namens "Britain Stronger in Europe" gegenüber. Auch diese hat mit Spott zu kämpfen: wegen ihrer Abkürzung BSE.

© SZ vom 04.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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