Großbritannien:Die schottischen Europafreunde

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Schottlands Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon (Foto: Jeff J Mitchell/Getty Images)

Es ist möglich, dass die Mehrheit der Einwohner des Vereinigten Königreichs für den Austritt aus der EU stimmt, die Mehrheit der Schotten aber dagegen. Das könnte die Separatisten stärken.

Von Christian Zaschke, London

Eine der spannendsten Fragen in der Debatte über die Folgen eines möglichen britischen EU-Austritts ist die, was dann in Schottland geschähe. Nördlich des Hadrianswalls ist die Zustimmung zur EU deutlich größer als in weiten Teilen Englands. Es ist also möglich, dass die Mehrheit der Einwohner des Vereinigten Königreichs für den Austritt stimmt, die Mehrheit der Schotten aber dagegen. Der ehemalige Ministerpräsident Alex Salmond hat nun als erster prominenter schottischer Politiker zu der Frage deutlich Position bezogen. In einer TV-Debatte über das am 23. Juni stattfindende Referendum sagte er, dass Schottland in diesem Fall innerhalb der kommenden zwei Jahre erneut über die Unabhängigkeit abstimmen und sich diesmal vom Vereinigten Königreich lossagen werde.

Diese Aussage birgt Sprengkraft. Salmond trat als Ministerpräsident und Chef der Scottish National Party (SNP) zurück, nachdem 2014 eine Mehrheit der Schotten die Unabhängigkeit abgelehnt hatte. Damals hieß es, die Frage sei für diese Generation geklärt. Da die SNP jedoch seither einen gewaltigen Mitgliederzuwachs verbuchte und bei den Wahlen des Regionalparlaments und des Unterhauses in Westminster sehr gut abschnitt, wird in Edinburgh und London darüber spekuliert, ob die SNP versuchen wird, bald erneut abstimmen zu lassen.

Salmonds Äußerung könnte nun die schottische Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon unter Druck setzen. In Edinburgh ist zu hören, dass Sturgeon ein zweites Referendum auf keinen Fall übereilt ansetzen will, weil sie weiß, dass eine neue Niederlage das Thema sehr lange, eventuell für immer ad acta legen könnte. Intern heißt es, erst wenn die Umfragen eine Mehrheit von 60 Prozent für die Unabhängigkeit ergäben, würde die SNP darüber nachdenken, ein zweites Referendum abzuhalten. Vor knapp zwei Jahren hatten lediglich 45 Prozent der Wähler für die Loslösung vom Königreich votiert. Ein Problem für die SNP ist das ökonomische Argument. Schottlands Wirtschaft ist vom Öl in der Nordsee abhängig. Zum Zeitpunkt der Wahl im Jahr 2014 stand der Ölpreis doppelt so hoch wie jetzt, und dennoch ließen sich die Wähler nicht überzeugen.

Salmond äußerte sich in der ersten TV-Debatte über das EU-Referendum, an der er als außenpolitischer Sprecher der SNP teilnahm. Die BBC hat die Debatte am Donnerstagabend in Glasgow ausgerichtet, im Publikum saßen Wähler im Alter von 18 bis 29 Jahren. In dieser Altersgruppe ist die Zustimmung zur EU-Mitgliedschaft Umfragen zufolge am größten. Gemeinsam mit einem Labour-Politiker argumentierte er für die EU, auf der anderen Seite saßen eine Europa-Abgeordnete der EU-feindlichen UK Independence Party sowie der frühere konservative Verteidigungsminister Liam Fox. Dieser sagte, dass es in der Abstimmung nicht darum gehe, wie die einzelnen Teile des Landes wählten. "Wir entscheiden über unsere Mitgliedschaft in der EU als Vereinigtes Königreich im Ganzen. Jede Stimme zählt gleich viel."

© SZ vom 28.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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