Großbritannien:Alles ganz schlimm

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Viele Euroskeptiker in Großbritannien sind schon vor dem Gesprächsende in Brüssel ziemlich sauer und wittern Verrat. Die Schotten denken derweil über ein neues Referendum zur Unabhängigkeit nach.

Von Christian Zaschke

Während in Brüssel verhandelt wurde, herrschte auch in Westminster Geschäftigkeit. Die Abgeordneten warteten auf das Ergebnis, das Kabinett hielt sich bereit, um rasch zusammentreten zu können. Geplant war, dass Premierminister David Cameron am Nachmittag nach London zurückkehrt, seine Minister zusammenruft und anschließend das Datum der Volksabstimmung über die britische EU-Mitgliedschaft verkündet. Daraus wurde nichts. Am frühen Abend teilte der Premier mit, dass es spät werden würde. Sehr spät. Die Kabinettssitzung sei bis auf weiteres verschoben. Da es also zunächst kein Ergebnis aus Brüssel gab, trat hin und wieder ein Parlamentarier vor die Kameras, um etwas Grundsätzliches zu sagen. Zum Beispiel der ehemalige Umweltminister Owen Paterson, der es als eine seiner vornehmsten Aufgaben ansieht, die Verhandlungen von David Cameron zu bekritteln. "Das ist alles sehr enttäuschend", sagte er, "wir hatten auf eine wirkliche Neuverhandlung gehofft." Paterson gehört zum Lager derer, denen es gleichgültig ist, wie die Details der Verhandlungen aussehen. "Ich bin mir vollkommen im Klaren darüber, dass wir die politischen und rechtlichen Arrangements der EU verlassen und eine reine Handelsbeziehung etablieren sollten", sagte er, "wir müssen unsere Gesetze in unserem Parlament machen." Dabei zeigte er auf die Houses of Parliament, die erhaben in der Londoner Sonne standen.

Der jüngsten Umfrage zufolge wollen 36 Prozent der Briten für den Austritt aus der EU stimmen, 34 Prozent für den Verbleib. Der Rest ist unentschieden. Die Ergebnisse variieren allerdings von Umfrage zu Umfrage. Bei telefonischen Erhebungen ergibt sich meist eine pro-europäische Mehrheit, bei Online-Umfragen ist es knapp. Einheitlich ergibt sich, dass unter jüngeren Briten eine Mehrheit für den Verbleib ist. In Schottland ist die Zustimmung zur EU innerhalb des Vereinigten Königreichs am stärksten.

In Schottland wird schon über ein neues Referendum zur Unabhängigkeit nachgedacht

Dieser Punkt ist deshalb so wichtig, weil er zu einer neuen Abstimmung über die schottische Unabhängigkeit führen könnte. Es gilt als sicher, dass die Scottish National Party (SNP) versuchen wird, ein neues Referendum anzuberaumen, falls die Mehrheit der Bevölkerung des gesamten Königreichs für den Austritt votiert, die Schotten jedoch überwiegend für den Verbleib stimmen.

Das Finanzviertel Canary Wharf in London: Ein EU-Austritt, befürchten Proeuropäer in Großbritannien, könnte der britischen Wirtschaft schwer schaden. (Foto: Eddie Keogh/Reuters)

Im September 2014 hatte sich eine Mehrheit der Schotten gegen die Unabhängigkeit entschieden. Damals hieß es, die Frage sei damit für diese Generation geklärt. Nun ist sie eng mit der Frage der EU-Mitgliedschaft verknüpft. Für die konservativen Europaskeptiker ist das problematisch. Die konservative Partei heißt offiziell "Conservative and Unionist Party", sie trägt die Union mit Schottland also im Namen. Die Europaskeptiker argumentieren daher, dass eine Entscheidung der Bevölkerungsmehrheit von Schottland mitgetragen werden müsse.

Auch dem Labour-Abgeordneten Chuka Umunna ist das Verhandlungsergebnis von Brüssel im Grundsatz gleichgültig, allerdings aus anderen Gründen als den europaskeptischen Tories. Wie die Mehrheit seiner Parteifreunde ist er für den Verbleib in der EU. "Die Verhandlungen sind wichtig", sagte er am Freitag, "aber das Wichtigste ist, dass wir in der EU bleiben. Es geht um drei bis vier Millionen Arbeitsplätze, die direkt mit unserer Mitgliedschaft zusammenhängen." Mitglieder des Kabinetts äußerten sich am Freitag nicht. Cameron hatte verfügt, dass dies erst nach seiner Rückkehr geschehen solle. Die wichtigsten Minister sind wie der Premier für den Verbleib in der EU. Offen ist, wie der einflussreiche Justizminister Michael Gove und der Londoner Bürgermeister Boris Johnson sich entscheiden werden. Besonders die Stimme des populären Johnson gilt als entscheidend.

© SZ vom 20.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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