Griechenland:Tage des Zorns

Lesezeit: 2 min

Premier Alexis Tsipras ist nun das Objekt der Wut. Die Griechen spüren die Last der von ihm ausgeführten Sparpolitik. Und reagieren: ein Generalstreik ist angekündigt, erste Syriza-Büros wurden in Brand gesteckt.

Von Mike Szymanski, Istanbul

So viel Zorn. Als Alexis Tsipras im September mit seinem Linksbündnis Syriza erneut an die Macht gewählt wurde - dieses Mal mit einem Sparprogramm in der Hand - hatte er seine Griechen vorbereitet. Schwere Zeiten würden auf sie zukommen. Wenn einer weiß, was Wut anrichten kann, ist das Tsipras. Sie trug ihn bis an die Spitze des Landes, weil die Griechen es satt hatten, für die Fehler aus der Vergangenheit wieder und wieder zu bezahlen. Nun richtet sich die Wut plötzlich gegen ihn.

Geld aus Brüssel gibt es nur gegen Leistung. Die ersten Syriza-Büros brennen

Sie legt in diesen Wochen die U-Bahnen in Athen lahm. Sie lässt Schiffe fest vertäut im Hafen von Piräus liegen, die gebraucht würden, um Flüchtlinge von den Inseln aufs Festland zu bringen. Mitarbeiter im Großkrankenhaus Evangelismos legten die Arbeit bereits nieder. Als ob die Klinik nicht seit Monaten schon in einem Notbetrieb laufen würde. Lehrer gaben keinen Unterricht mehr. Mit ihren Schülern gingen sie auf die Straße, um zu demonstrieren.

Dies dürfte erst der Anfang sein. Die Gewerkschaften haben für Donnerstag einen Generalstreik angekündigt. Und die Bauern wollen ihre Traktoren auch nach Athen lenken, um gegen die Abschaffung ihrer Privilegien zu wettern. Von "verbrecherischen Sparmaßnahmen" ist die Rede - wie früher schon. In der Nacht zum Montag haben Unbekannte Brandanschläge auf drei Parteibüros von Tsipras' Syriza verübt. Verletzt wurde niemand. Ob die Anschläge mit der Sparpolitik zusammenhängen, ist noch nicht geklärt. Aber sie zeigen, wie die Stimmung im Land ist, während man im fernen Brüssel von Reformvorhaben spricht.

Im Gegenzug für etwa 86 Milliarden Euro Finanzhilfe in den nächsten drei Jahren hat Tsipras den Kreditgebern zugesagt, Milliarden zu sparen. Er habe keine Wahl gehabt, sagte Tsipras. Geld aus Brüssel gibt es seither nur gegen Leistung. Die Auszahlung von vorerst weiteren zwei Milliarden Euro hakt, weil Tsipras' Regierung Griechen nicht reihenweise obdachlos machen möchte.

Seit Wochen streiten Kreditgeber und Athen darüber, unter welchen Umständen Wohnungsbesitzer, die ihre Kredite nicht mehr bedienen können, ihr Eigenheim verlieren. Schätzungen zufolge sind 320 000 Wohnungsbesitzer mit ihren Raten im Rückstand. Die Not der griechischen Banken ist auch wegen dieser vielen faulen Kredite so groß. Gegen die Schuldner haben sie kaum eine Handhabe. Tsipras will die Besitzer weiter schützen.

Für Familien mit drei Kindern sollen Immobilien mit einem Wert bis etwa 300 000 Euro als Erstwohnsitz geschützt bleiben. Auch das Einkommen soll eine Rolle spielen. Die Kreditgeber wollen den Banken schon bei einem Wert von 120 000 Euro den Zugriff auf das Eigentum ermöglichen. Die Verhandlungen sind so festgefahren, dass von griechischer Seite eine "politische Lösung" gefordert wird. Das heißt: Das große Ganze sehen.

Griechenland gehört in der Flüchtlingskrise zu den Ländern, die die ganze Wucht zu spüren bekommen. Schon jetzt ist das Land mit der Bewältigung überfordert. Als Tsipras sich neulich auf Lesbos ein Bild der Lage machte, spülte es ein Flüchtlingsboot mehr oder weniger direkt vor seine Füße. Auch ohne Flüchtlingskrise ist der soziale Zusammenhalt im Land gefährdet. Politische Lösung heißt für Tsipras, dies nicht aus den Augen zu verlieren. Das ist die große Politik.

Im Kleinen hat er mit anderen Sorgen zu kämpfen. Am Montag ging sein früherer Vize-Innenminister Giannis Panousis mit einem Dossier zur Staatsanwaltschaft. Er sei in seiner Amtszeit von Syriza-Politikern bedroht worden. Es sei um Haftbedingungen für Terroristen gegangen. Aus den Unterlagen gehe hervor, dass Syriza-Funktionäre enge Beziehungen zu diesen Kreisen unterhielten. Die Staatsanwaltschaft prüft die Vorwürfe.

© SZ vom 10.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: