Griechenland:Nacht der Ernüchterung

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Die harte Linie des griechischen Regierungschefs spaltet sein Volk - und seine Koalitionsregierung. Selbst auf der Straße dominieren derzeit seine Gegner.

Von Christiane Schlötzer

In einer der feineren Geschäftsstraßen in Athen stehen die Verkäuferinnen vor den Läden, das Ohr am Handy. Die Geschäfte sind leer. Wer braucht auch jetzt Hemden oder Heimtextilien. Kein Kunde, weit und breit. Nur in den Supermärkten wird gehamstert, am Tag eins der neuen Zeit. Griechenland ist ohne internationale Rettungsweste, das Kreditprogramm von EU, EZB und IWF ist in der Nacht zum Mittwoch um 24 Uhr nur noch Makulatur. Regierungschef Alexis Tsipras wollte einst ja genau das, im Wahlkampf hat er den Griechen versprochen, die "Memoranden", die Sparprogramme, "zu zerreißen". Dass das Ende dann so aussehen würde, hat er wohl nicht geahnt.

Vor größeren Bankfilialen steht jetzt schon tagsüber Polizei. In den Schlangen an den Automaten warten am Mittwoch auch Leute, die wissen wollen, ob ihr Gehalt auf dem Konto eingetroffen ist. Auch da gibt es böse Überraschungen. "Ich habe nichts bekommen, ich arbeite jetzt seit 31 Jahren, so etwas ist noch nie passiert", sagt ein Mann. Er ist wütend und bestürzt. Die Griechen sind daran gewöhnt, dass ihre Arbeitgeber schon mal in Raten zahlen, aber gar nichts? Das ist wie bankrott.

In einem Land ohne Banken und mit Kapitalverkehrskontrollen geht vieles nicht mehr. Die Studiengebühren für die Kinder im Ausland können nicht überwiesen werden. Griechische Bankkarten funktionieren auch im Ausland entweder gar nicht oder nur sehr eingeschränkt. Und was ist mit Stromrechnungen, Telefon? Manche versuchen am Automaten, ihre Rechnungen nach und nach zu begleichen. 60 Euro jeden Tag. Krankenhäuser schlagen Alarm, weil Pharmafirmen nichts mehr auf Kredit liefern wollen, sie verlangen Vorkasse, selbst bei großen Athener Kliniken. Ein verzweifelter Banker erzählt, 7000 Leute hätten in seiner Filiale die versprochene Rentenauszahlung beantragt. Er hat aber nur noch eine Million Euro im Safe. Das sind nicht einmal 150 Euro für jeden.

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(Foto: Daniel Ochoa de Olza/AP)

Rentner rangelten am Mittwoch in Athen um den Zugang zu einer Bank. Nur wer eine Wartenummer erkämpfte, konnte rein und sich seine Rente abholen.

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(Foto: Aris Messinis/AFP)

Glücklich, wer noch Bargeld ergattert: Einige Bankfilialen öffneten am Mittwoch nur, um die Renten auszuzahlen - und selbst dafür war nicht genügend da.

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(Foto: Louisa Gouliamaki/AFP)

Der Aufruf zum Volksentscheid hat Griechenland gespalten: Vor dem griechischen Parlament sammeln sich die Gegner des jüngsten EU-Angebots.

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(Foto: Yannis Behrakis/Reuters)

Ihnen gegenüber stehen Euro-Sympathisanten, die ebenfalls vor dem Parlamentsgebäude demonstrieren und für ein "Ja" zu den EU-Vorschlägen werben.

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(Foto: Louisa Goluiamaki/AFP)

"Lieber Drachmen als die Unterwerfung": Gegner des Sparprogramms verteilten am Wochenende Flugblätter in Athen.

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(Foto: Daniel Ochoa de Olza/AP)

Die Stimmung nun: chaotisch. Banken bleiben geschlossen, in den Supermärkten wird gehamstert. "Es gibt keine Zukunft in der EU", schreiben diese Demonstranten.

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(Foto: Socrates Baltagiannis/dpa)

Die Abstimmung am Sonntag ist auch für Premier Tsipras entscheidend. Hinter den Kulissen wird, so scheint es, bereits um eine Notregierung gerungen.

Am Mittwoch gibt es dann hässliche Szenen, als einige Filialen öffnen, nur um die Renten auszuzahlen. Es kommt zu Gedränge, alte Menschen weinen, rangeln um Wartenummern. Andere wenden sich verschämt ab, oder versuchen Plastikhocker über den Köpfen weiterzureichen, damit nicht alle in der Hitze im Stehen ausharren müssen. Die Rentner wollte die Regierung doch vor neuem Unglück schützen, mit ihrem Widerstand gegen weitere Kürzungen. Und nun stehen sie wie Bettler vor den Banken, ausgerechnet am dem Tag, an dem das verhasste Sparprogramm der Kreditgeber offiziell Geschichte ist.

Vorausgegangen war eine schwarze Nacht. Es regnete in Strömen, über den Himmel zuckten Gewitterblitze. Die Sicherheitskräfte hatten sich in auffälliger Stärke um den zentralen Syntagma-Platz postiert, so als müsste das Zentrum Athens auf einmal vor Menschen in Poloshirts und Anzügen geschützt werden. Am Dienstagabend demonstrierte hier das Bürgertum, für ein Ja im Referendum und gegen Tsipras. "Hier ist das Herz Europas, merkt euch das", schreit ein Mann in die Menge, die so dicht steht, dass nichts mehr geht, weder vor noch zurück. Über den Köpfen verhaken sich die Regenschirme. Dem Mann läuft trotzdem das Wasser in den Hemdkragen. Rund 20 000 Menschen sind auf dem Platz. Würde die Straße entscheiden, dann hätte Tsipras das Referendum am kommenden Sonntag schon verloren. Schließlich waren am Abend zuvor bei milden Temperaturen weit weniger Griechen gekommen, um das von Tsipras geforderte "große Nein", das Ochi, zu unterstützen.

Die Minister schleichen aus dem Premierpalast durch die Hintertür davon

Die Idee der Regierung, das Volk zu befragen, hat das Volk tief gespalten. "Tsipras hat gesagt, die Griechen hatten auch schon eine Zivilisation vor dem Euro, aber ich will nicht zurück zu Perikles, ins fünfte Jahrhundert vor Christus", sagt Giorgos, 32, ein Anwalt. "In dieser Zeit gab es noch Sklaven", sagt Katerina, 41. Auch sie ist Juristin. Sie sagt: "Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie demonstriert, aber jetzt bin ich hier, weil ich nicht will, dass Griechenland aus Europa herausfällt." Aus einem Lautsprecher hallt eine Stimme über den Platz, der Wind verzerrt die Worte. Ira, 38, eine Ärztin, braucht keine Anweisungen, sie weiß, wie sie es machen wird: "Ich stimme beim Referendum mit Ja." Iras Gehalt wurde gekürzt, aber sie meint: "Was auch immer geschieht, wir wollen in der EU bleiben." Ein älterer Mann mit Nickelbrille sagt: "Auch wir sind das Volk."

Die Bilder vom Syntagma-Platz von dieser Nacht dürften dazu beigetragen haben, dass der Riss, der auch durch die Regierung geht, nicht mehr zu leugnen ist. Vizepremier Giannis Dragasakis erlaubt als Erster den Blick hinter die Kulissen im Premierpalast, dem Megaro Maximou, aus dem sich inzwischen die Minister lieber durch die Hintertür davonschleichen. Als sie am vergangenen Samstag die Idee zu dem Referendum verkündeten, traten sie noch stolz durch die große Vordertür auf die Straße und vor die Kameras. Dragasakis deutet schon an, dass das Referendum nicht stattfinden müsse, dass es nur angesetzt worden sei, um die Verhandlungsposition Athens gegenüber der EU zu verbessern. Und mit dem neuen Vorschlag Athens würden "die Differenzen weiter verkleinert". Noch in der Nacht schickt die Regierung diesen Vorschlag, eine Bitte um ein neues Hilfspaket, nach Brüssel. Der Brief ist von Tsipras unterzeichnet. Die Uhrzeit ist nicht vermerkt, aber das Datum: 30. Juni 2015. Der letzte Tag des alten Vertrags.

Firmenchefs bitten die Mitarbeiter mit Ja zu stimmen. Sie fürchten die Pleite nach dem Referendum

Dieser überraschenden Wende dürfte ein handfester Krach in der Regierung vorausgegangen sein. Am Mittwoch schreibt die Zeitung Kathimerini, einige "Europhile" und Referendumsgegner im Tsipras-Kabinett hätten schon einen Rücktritt erwogen, würden davon aber vorerst absehen, wegen der zusätzlichen Turbulenzen, die dies vor dem Abstimmungs-Sonntag auslösen würde. Sogar aus den Reihen des rechten Koalitionspartners gibt es Distanzierungen. Das Referendum sei von Anfang an eine falsche Idee gewesen, weil es "Öl ins Feuer gegossen hat", sagt ein Vertreter der mitregierenden Rechtspopulisten, Thanasis Papachristopoulos.

Im Internet kursieren Briefe von Firmenchefs, die ihre Angestellten inständig bitten, doch mit Ja zu stimmen, weil sie bei einem negativen Ausgang der Abstimmung nicht wüssten, ob ihr Unternehmen in ein, zwei Wochen noch existiert. Der Bund der griechischen Tourismusindustrie (Sete) fordert auch ein Ja. Sete gehören nach eigenen Angaben mehr als 50 000 Unternehmen mit mehr als 400 000 Beschäftigten an. Die Bürgermeister von Athen und Thessaloniki, Giorgos Kaminis und Giannis Boutaris, beide parteilos, haben Staatspräsident Prokopis Pavlopoulos aufgesucht, um für ein Ja zu werben. Pavlopoulos, der politisch zur Neutralität verpflichtet ist, hat derzeit viele Besucher aus allen Parteien, was darauf schließen lässt, dass hinter den Kulissen auch um eine mögliche Allparteien-Notregierung gerungen wird.

In der Stadt hängen sie weiter Plakate an Laternenpfosten, Werbung für das Nein. Darauf steht "Syriza- für Demokratie und Würde". In einigen Ministerien wurden Beamte aufgefordert, mit Nein zu stimmen. Am Abend hält Tsipras wieder eine Fernsehrede. Solche Auftritte brachten zuletzt immer Überraschungen. Nun sagt er, das Referendum werde stattfinden.

© SZ vom 02.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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