Griechenland:Kühnes Projekt

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Syriza und Anel vertreten in vielen Punkten verschiedene Ansätze. Ihre bisherige Koalition lassen sie trotzdem wiederaufleben. Eine Handvoll Abweichler würde genügen, auch diese Regierung zu Fall zu bringen.

Von Mike Szymanski, Athen

Sein erstes Wahlversprechen hat Alexis Tsipras noch in der Nacht seines Sieges eingelöst. Er ist ja auch in der Bringschuld, jetzt, da ihm die Griechen eine zweite Chance gegeben haben. Tsipras holt einen wuchtigen Mann zu sich auf die Bühne am Klafthmonos-Platz, wo sein Linksbündnis Syriza die Wiederwahl feiert: Panos Kammenos. Der 50-Jährige gehört hier eigentlich nicht her. Er ist der Chef der rechtspopulistischen Partei Anel. Die hat es mit 3,7 Prozent wieder ins Parlament geschafft, gerade so, aber das hier ist jetzt nicht die Zeit, um ein paar verlorenen Prozentpunkten nachzutrauern.

Tsipras' Syriza und Kammenos' Anel - das war schon ein ungewöhnliches Paar, als sie nach der Wahl im Januar eine Koalition bildeten. Aber Tsipras wollte unbedingt. Man kennt sich noch aus der Zeit des harten Kampfes gegen Sparprogramme. Da demonstrierten Syriza-Anhänger und Anel-Mitglieder zwar in ihren eigenen Lagern, aber doch für die gleiche Sache. Die Sparpolitik war damals die Trennlinie in der griechischen Politik.

Beide Parteichefs liegen sich wie Freunde in den Armen

Dass Anel und Syriza in der Migrationspolitik grundverschiedene Auffassungen vertreten, stört die Anführer der beiden Parteien nicht. Tsipras hatte vor der Wahl versprochen, wieder mit Anel zusammenzugehen, wenn es die Rechtspopulisten ins Parlament schaffen sollten. Nun liegen sich beide Parteichefs wie Freunde in den Armen. Die Stimmen sind noch nicht ganz ausgezählt, da haben sich die beiden schon einander versprochen: "Wir werden die Politik fortsetzen, die wir gemeinsam im Januar begonnen haben", sagt Tsipras.

Syriza kommt im neuen Parlament auf 145 Sitze, Anel erreicht zehn. Zusammen verfügt die neue Koalition über 155 der 300 Sitze. Angesichts der Herausforderungen, vor denen das Land steht, kann man diese Regierung als ein kühnes Projekt verstehen. Schon eine Handvoll Abweichler würden genügen, um sie zu Fall zu bringen. Zu den Neuwahlen war es nur deshalb gekommen, weil Syriza und Anel im Parlament nicht mehr über eine eigene Mehrheit verfügten, um das von Tsipras ausgehandelte dritte Sparpaket durchs Parlament zu bringen. Mehr als 30 Syriza-Parlamentarier hatte ihm die Gefolgschaft verweigert - zu viele bei zusammen 162 Abgeordneten. Jetzt sind es noch weniger.

Tsipras verspricht am Wahlabend Stabilität. "Das wird eine Regierung für vier Jahre", sagte er. Viele haben daran Zweifel, nicht nur in Athen, sondern auch in Brüssel.

Dabei hätte Tsipras tatsächlich Auswahl bei den Koalitionspartnern haben können - doch er war auch in dieser Frage vor der Wahl schon sehr kategorisch. Eine Koalition mit der konservativen Nea Dimokratia unter seiner Führung hatte er ausgeschlossen. Die gehöre zum alten politischen System, das das Land in den Ruin getrieben habe, sagte er. Die Sozialisten der Pasok, die am Sonntag auf sechs Prozent kamen, schonte er mit Angriffen. Sie sind seine Reserve, wenn ihm Anel wegbrechen sollte. Dafür gibt es klare Signale. Zwar gehört die Pasok auch zu den Altparteien, ihr billigt Tsipras aber zu, sich verändern zu können. Nachdem Kammenos am Montag mit Tsipras gesprochen hatte, fragten Journalisten, ob Pasok der Regierung angehören werde. Kammenos sagte: "Das entscheidet der Premier." Kammenos macht also keine Schwierigkeiten. Tsipras hat ihn unter Kontrolle, solange er wieder ein Ministerium bekommt, bevorzugt das der Verteidigung. "Ich war auch skeptisch, aber die Zusammenarbeit funktioniert", sagt einer aus Tsipras' Lager.

Viel Zeit zum Einarbeiten bliebe auch nicht. Mit Blick auf die Neuwahl hatte Tsipras unbequeme Entscheidungen wie die weitere Kürzung der Renten und die Abschaffung von Steuerprivilegien für Landwirte auf den Herbst verschoben. Die Zeitung Kathimerini hat einen Ausblick darauf geliefert, was auf die neue Regierung in den nächsten knapp hundert Tagen zukommt: Mehr als die Hälfte der Vorgaben aus dem neuen Sparprogramm müssten in dieser Zeit umgesetzt werden, 15 davon schon im Oktober. Der Härtetest für Tsipras' neue Regierung habe begonnen.

Euklid Tsakalotos, der besonnene Vermittler, ist wieder als Minister im Gespräch

Die Geldgeber wollen im Herbst überprüfen, wie weit Griechenland mit seinen Reformen gekommen sein wird. Am Montag kursierte in Kreisen von Syriza die Überlegung, womöglich ein eigenes Ministerium oder mindestens einen Staatssekretär damit zu beauftragen, das Sparprogramm umzusetzen. Als "sehr wahrscheinlich" bezeichnete ein ehemaliges Regierungsmitglied von Syriza den Plan. Als Kandidat gilt der langjährige Unterhändler in den Gesprächen mit den Gläubigern, Giorgos Chouliarakis. Die Idee soll von Euklid Tsakalotos stammen, der als Finanzminister das dritte Rettungspaket mit ausgehandelt und das extrem aufgeladene Verhältnis zu den Kreditgebern mit seiner unaufgeregten Art wieder entspannt hatte. Es heißt, Tsakalotos fühle sich nicht wohl in der Rolle, die Sparpolitik zu exekutieren, die er immer als falsch betrachtet hat. Verzichten will Tsipras auf ihn aber nicht, heißt es. Ohnehin setzt er auf Vertraute. Yannis Mouzalas, der erst in der Übergangsregierung das Migrationsministerium übernommen hatte, hinterließ offenbar einen so guten Eindruck im Umgang mit der Flüchtlingskrise, dass Tsipras nun auf ihn einwirkt, zu bleiben. Am Montag reihte sich für Tsipras ein Gespräch ans andere, am Abend nahm ihm der Präsident zum zweiten Mal den Amtseid als Premier ab. An diesem Dienstag nun will Tsipras die Zusammensetzung seines Kabinetts bekanntgeben. Am Mittwoch will er zum EU-Flüchtlingsgipfel.

Wenig Sehnsucht dürfte der Premier nach Zoe Konstantopoulou haben. Die ehemalige Parlamentspräsidentin gehörte dem Lager der Drachme-Rebellen an, die lieber die Eurozone verlassen hätten, als neue Sparprogramme zu akzeptieren. Sie machte jede Sitzung zum Sparprogramm zur Folter, in dem sie die Abstimmungen so weit wie möglich hinauszögerte. Als Syriza-Abspaltung Volkseinheit zogen die Rebellen in die Wahl - und scheiterten an der Drei-Prozent-Hürde. Die unbequemen Gegner ist Tsipras also losgeworden.

Dass Syriza mehr oder weniger allein Tsipras den Wahlsieg zu verdanken hat, wurde am Montag bei den Detailauswertungen der Wahlergebnisse deutlich. Für fast 40 Prozent der Syriza-Wähler war ausschlaggebend, Tsipras wieder zum Premier zu machen. Er ist das größte Kapital der Partei. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele auch aus Enttäuschung über die Fortsetzung der Sparpolitik diesmal nicht zu den Wahlen gingen. Syriza kostete das den Untersuchungen zufolge mehr als 300 000 Stimmen.

© SZ vom 22.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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