Griechenland:Ein Skandal, viele Beschuldigte

Lesezeit: 2 min

„Das Volk muss erfahren, wer Schmerz und Krankheit zu einem Mittel der Bereicherung gemacht hat“, sagt Griechenlands Premier Alexis Tsipras. (Foto: Dimitrios Karvountzis/imago/Pacific Press Agency)

Das Parlament in Athen untersucht eine Bestechungsaffäre um den Pharmakonzern Novartis.

Von Luisa Seeling, München

Marathon-Sitzungen sind sie gewohnt im Parlament in Athen. Doch die 20-stündige Debatte, welche die Abgeordneten am Mittwoch bis tief in die Nacht hinein führten, war selbst für griechische Verhältnisse intensiv. Der ehemalige Interims-Premierminister Panagiotis Pikramenos trat auf: Nur für 35 Tage habe er 2012 die Regierungsgeschäfte geführt, in einer Zeit ökonomischen und politischen Aufruhrs. "Und heute, sechs Jahre später, stehe ich hier vor Ihnen und sehe mich haltlosen Vorwürfen ausgesetzt." Er hatte Tränen in den Augen.

Die politische Klasse in Griechenland wird gerade von einem Skandal riesigen Ausmaßes erschüttert - bis hierhin sind sich die Beteiligten einig. Nur worin der Skandal besteht, ist umstritten. Es geht um einen Fall, in dem die griechische Justiz schon seit einem Jahr ermittelt: um angebliche Bestechung durch den Schweizer Pharmakonzern Novartis mit dem Ziel, die Verkäufe und Preise seiner Produkte in Griechenland hochzutreiben. Vor Kurzem wurden nun Vorwürfe bekannt, die anonyme Zeugen gegen prominente Politiker erhoben haben sollen. Unter den angeblich Bestochenen sind der frühere Regierungschef Antonis Samaras, Zentralbankchef Ioannis Stournaras, der frühere Gesundheitsminister und heutige EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos - und eben Pikramenos, der Mann mit dem emotionalen Auftritt.

Neben Tausenden Ärzten, die ebenfalls kassiert haben sollen, stehen somit vor allem konservative und sozialistische Politiker im Fokus, die das Land bis 2015 regiert hatten. Man werde die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen, sagte der linke Premier Alexis Tsipras. "Das Volk muss erfahren, wer Schmerz und Krankheit zu einem Mittel der Bereicherung gemacht hat." Nicht nur seien 50 Millionen Euro an Schmiergeld geflossen, die Affäre habe dem Gesundheitssystem auch drei Milliarden Euro Schaden zugefügt. Am Ende votierte eine Mehrheit der Abgeordneten für eine Untersuchung gegen die zehn Politiker. Die Justiz hatte den Fall an das Parlament überwiesen; nach griechischem Recht müssen die Vorwürfe dort untersucht werden, damit die Immunität der Beschuldigten aufgehoben und ein Strafverfahren eingeleitet werden kann. Novartis hatte versichert, "rasch und bestimmt" gegen Korruption vorzugehen, sollten sich die Vorwürfe als wahr herausstellen.

Für die Regierung handelt es sich um den "schlimmsten Korruptionsskandal in der Geschichte des griechischen Staates". Die beschuldigten Politiker sprechen von einer Hexenjagd. Die Kampagne der Regierung gegen die Opposition sei der eigentliche Skandal; Antonis Samaras, ehemals Vorsitzender der konservativen Nea Dimokratia und von 2012 bis 2015 Tsipras' Vorgänger, wirft der Regierung "das größte Komplott seit der Gründung des modernen griechischen Staates" vor. Die Beschuldigten ziehen nicht nur die Aussagen, sondern die Existenz der anonymen Informanten in Zweifel; sie kritisieren auch, dass die Akten der Staatsanwaltschaft der Presse zugespielt wurden und nun im Internet kursieren. Auch verweisen sie auf Ungereimtheiten in dem Dossier. Tsipras wolle nur ablenken von der ökonomischen Situation des Landes und die Opposition vor den Wahlen Anfang 2019 diskreditieren. Samaras und weitere Beschuldigte haben ihrerseits Klage eingereicht gegen Tsipras, die Zeugen und drei Staatsanwälte. Die juristische Aufarbeitung des Falles dürfte Monate, eher aber Jahre dauern.

Tatsächlich könnte Tsipras von der Affäre profitieren. Viele Bürger machen korrupte Politiker und verschwenderische Regierungen für die Krise und den Beinahe-Kollaps des Gesundheitssektors verantwortlich. Tsipras war 2015 als Kämpfer für Transparenz angetreten, dieser Rolle aber nach Ansicht vieler Syriza-Wähler nur bedingt gerecht geworden. Von den internationalen Gläubigern hatten Tsipras zuletzt gute Noten für seine Reformbemühungen bekommen. Das Land bereitet sich darauf vor, im August das dritte Hilfsprogramm abzuschließen - ein symbolträchtiger Termin, den der Premier gerne als persönlichen Erfolg verbuchen möchte. Zuletzt landete Syriza in Erhebungen klar hinter Nea Dimokratia; die Menschen verübeln Tsipras seine Sparpolitik, zudem beschert ihm der Namensstreit mit Mazedonien schlechte Umfragewerte. Der Novartis-Skandal ist für ihn eine Chance, sich als Aufräumer zu profilieren.

© SZ vom 23.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: