Griechenland:Die schwierigste Reform

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Athen legt sich wieder mit den Gläubigern an: Premier Tsipras will die Rentenausgaben weniger stark senken, als es die Kreditgeber fordern. Denn innenpolitisch schwindet sein Rückhalt.

Von Alexander Mühlauer und Mike Szymanski, Brüssel/Istanbul

Griechenlands Premier Alexis Tsipras geht in der nächsten Verhandlungsrunde mit den internationalen Kreditgebern um weitere Milliardenhilfen voll ins Risiko. Bei der Reform des Rentensystems legt sich der Linkspolitiker mit den Gläubigern an, die Einsparungen von 1,8 Milliarden Euro verlangen. Athen will die Rentenausgaben allerdings weit weniger stark senken. Innenpolitisch schwindet Tsipras' Rückhalt. Die Rentner hatten in den Krisenjahren mehrmals Kürzungen hinnehmen müssen. Die Opposition verweigert dem Regierungschef die Gefolgschaft. In die entscheidende Parlamentsabstimmung geht Tsipras' Regierung mit einer Mehrheit von nur drei Stimmen.

Die Reform des Rentensystems gilt als entscheidender Gradmesser dafür, mit welchem Elan Athen einerseits die mit den Kreditgebern vereinbarte Reformpolitik umsetzt und andererseits innenpolitisch das Versprechen nach mehr sozialer Gerechtigkeit einlöst. Arbeitsminister Giorgos Katrougalos hat Anfang der Woche das Rentenkonzept in Brüssel vorgelegt. "Das ist die schwierigste Reform bis jetzt", sagte er im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. "Wir versuchen nicht nur die Vorgaben aus dem Hilfsprogramm umzusetzen, wir wollen auch Elemente der sozialen Gerechtigkeit einführen. Ich bin zuversichtlich, dass wir die nötige Mehrheit zusammenbringen werden."

Das Konzept sieht vor, heutige Rentner mit neuen Kürzungen zu verschonen. "Wir frieren die existierenden Renten auf dem Level ein, auf dem sie sind. Das heißt, sie werden nicht reduziert, aber auch nicht erhöht", erklärte Katrougalos. Die Kosten der Reform werden künftige Rentner bezahlen müssen. Für Neurentner will die Regierung eine nationale Grundrente in Höhe von 384 Euro im Monat einführen, die aus dem Haushalt finanziert werden soll. Die Höhe bemisst sich am Existenzminimum. Darauf aufbauend können Ruheständler weiteres Geld je nach gezahlten Beiträgen erhalten.

Das vereinbarte Sparziel von 1,8 Milliarden Euro im Jahr 2016 erreicht Athen so nicht

Einher geht die Reform mit einer radikalen Vereinfachung des Regelwerks. Künftig soll es nur noch eine zentrale Rentenkasse geben, Sonderregelungen sollen im großen Stil abgeschafft werden. Heute ist das Rentensystem aufgrund extrem vieler Ausnahmen undurchsichtig geworden, nach Angaben von Katrougalos gibt es mehr als 900 Wege, die Grundrente zu berechnen. Das mache das System teuer und nicht mehr steuerbar. Nach Zahlen der griechischen Finanzpresse bringt die Reform für Neurentner Kürzungen von im Schnitt 15 Prozent mit sich. Katrougalos sagte: "Einige der künftigen Renten werden niedriger sein." Die Regierung wolle aber nur Altersbezüge aus mittleren und höheren Einkommen reduzieren, betonte der Minister.

Das mit den Institutionen von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) vereinbarte Sparziel von 1,8 Milliarden Euro im Jahr 2016 erreicht Griechenland so nicht. Die Ausgaben würden lediglich um etwa 1,2 Milliarden Euro gesenkt. Die verbleibende Summe von 600 Millionen Euro will Athen über höhere Beiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern erwirtschaften. Doch bei den Euro-Partnern und insbesondere beim IWF gibt es große Vorbehalte, weil steigende Arbeitskosten die Wettbewerbsfähigkeit des Landes schwächen könnten.

Katrougalos sagte dagegen, dass jeder zweite Haushalt aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit allein von Renteneinkünften lebe. Eine weitere Sparrunde würde lediglich die Rezession weiter anfachen. "Wir verlangen von unseren Partnern zu respektieren, dass wir das Ziel nicht nur durch Kürzungen - und wir werden Geld einsparen -, sondern auch durch eine Anhebung der Beiträge erreichen wollen." Höhere Beiträge seien das "kleinere Übel", meinte Katrougalos. "Wir werden darüber mit den Kreditgebern verhandeln."

Nächste Woche trifft sich Athens Finanzminister Euklid Tsakalotos mit seinen Euro-Kollegen in Brüssel. Er wird ihnen die genauen Pläne der griechischen Regierung erläutern. Aber nicht nur. "Die Frage der weiteren Beteiligung des IWF wird der große Knackpunkt werden", sagte ein hoher EU-Beamter der SZ. Die Gläubiger dringen darauf, dass der Währungsfonds bei der Griechenland-Hilfe an Bord bleibt. Der IWF gilt vielen als Garant für strikte Kontrollen. Tsipras hingegen hätte den Fonds aus Washington am liebsten los. Einfach weil Athen deutlich höhere Zinsen bezahlen muss als bei den Darlehen der Euro-Partner. Und weil sich der IWF immer wieder als harter Kritiker unter den Gläubigern hervorgetan hat.

Athens Regierung präsentierte ihren Reformvorschlag nicht nur den Gläubigern, sondern auch den Oppositionsparteien. Tsipras hat sich wiederholt um deren Zustimmung bemüht. Er sagte im Fernsehen, ohne Reform würde das Land in fünf Jahren keine Renten mehr auszahlen können. Dennoch verweigert die politische Konkurrenz die Gefolgschaft. Die Pasok-Sozialisten erklärten, sie seien gegen Kürzungen und auch gegen Beitragserhöhungen. Katrougalos nannte die Verweigerungshaltung "scheinheilig", weil die Vorgängerregierungen elf Mal die Rente gekürzt hätten. "Jedes Mal hieß es, nach den Reformen ist das System nachhaltig. Niemand hat mehr Vertrauen in das System."

Für das Regierungslager dürfte die Abstimmung über die Rentenreform zur Zerreißprobe werden. Zusammen mit dem rechtspopulistischen Koalitionspartner Anel verfügt Tsipras' Linksbündnis Syriza über eine Mehrheit von nur drei Sitzen im Parlament. Katrougalos sagte: "Die Koalition arbeitet. Es ist sehr wahrscheinlich, dass wir mehr Stimmen als unsere eigene Mehrheit haben." Er hofft darauf, einzelne Oppositionspolitiker bei der Abstimmung auf Regierungsseite ziehen zu können. Neuwahlen im Falle eines Scheiterns hält der Minister für falsch. " Ich schließe eine solche Möglichkeit sogar aus." Die Abstimmung über das Reformgesetz könnte - falls es von den Gläubigern akzeptiert wird - Anfang Februar stattfinden.

© SZ vom 07.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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