Griechenland:Athen hofft auf Milliardenhilfe in letzter Sekunde

Lesezeit: 2 min

Griechenlands Banken bleiben geschlossen - es gibt kaum mehr Bargeld. Premier Tsipras stellt einen Antrag beim Rettungsfonds ESM. Eine detaillierte Reformliste soll nachgereicht werden.

Von Cerstin Gammelin, Alexander Mühlauer und Mike Szymanski, Berlin/Brüssel

Angesichts des drohenden Zusammenbruchs der griechischen Wirtschaft hat die Regierung in Athen einen neuen Anlauf unternommen, um an finanzielle Unterstützung zu kommen. Sie stellte am Mittwoch einen formalen Antrag auf Finanzhilfe aus dem Euro-Rettungsfonds ESM. Die Regierung beantragte eine Laufzeit von drei Jahren. Sie versprach umgehende Steuer- und Rentenreformen, sollte das Darlehen bewilligt werden und sicherte zu, alle Kredite in vollem Umfang zu bedienen. Bei einer von Tumulten begleiteten Rede im EU-Parlament in Straßburg zeigte sich Ministerpräsident Alexis Tsipras zuversichtlich, eine Einigung mit den Euro-Partnern zu finden. Das französische EZB-Ratsmitglied Christian Noyer richtete am Mittwoch eine eindringliche Warnung an die Politik, eine Lösung zu finden. Die Unternehmen in Griechenland stünden vor einer Katastrophe, die Wirtschaft drohe zu kollabieren, sagte Noyer dem Radiosender Europe 1. Ohne eine Perspektive auf Einigung im Schuldenstreit müsse die EZB die Notkredite für die Banken unverzüglich beenden; das Maximum sei bereits ausgeschöpft.

Die EZB hält das griechische Bankensystem bisher mit Notkrediten von 90 Milliarden Euro am Leben. Weil die Hilfen nicht mehr aufgestockt wurden, sind die griechischen Banken inzwischen geschlossen und sollen laut dem staatlichen Fernsehen erst am Montag wieder öffnen. Immer mehr Bankautomaten sind leer, Kreditkarten werden kaum akzeptiert, Unternehmen gehen pleite, Touristen bleiben aus. Griechenlands Finanzminister Euklid Tsakalotos begründete den Antrag auf Hilfe damit, dass die Stabilität des Finanzsystems gewährleistet werden müsse. An diesem Donnerstag will er eine Liste mit Reformvorschlägen nachreichen, die nächste Woche im Parlament verabschiedet werden sollen.

Die Gruppe der Euro-Finanzminister entschied am Mittwoch, vor der Prüfung des Hilfegesuchs die Liste abzuwarten. Ob ein drittes Milliardenpaket überhaupt verhandelt wird, soll bis zu dem für Sonntag geplanten Sondergipfel aller 28 EU-Staats- und Regierungschefs geprüft werden. Sollte der Gipfel Verhandlungen zustimmen, muss der Bundestag nächste Woche kurzfristig zu einer Sondersitzung zusammenkommen. Die Bundesregierung braucht sein Mandat, um über ein Kreditpaket aus dem ESM verhandeln zu dürfen. In der Union hieß es am Mittwoch, eine Entscheidung könne erst getroffen werden, wenn Griechenland eine verlässliche Grundlage für Verhandlungen geschaffen habe. SPD-Fraktions-Vize Axel Schäfer drängte zur Eile. "Der Boden brennt uns unter den Füßen weg", sagte er.

Der französische Premierminister Manuel Valls sagte in Paris, Frankreich werde "alles tun, damit Griechenland in der Euro-Zone bleibt".

In Athen rückte die konservative Nea Dimokratia von ihrer Zusage ab, Tsipras in Brüssel zu unterstützen. Interims-Chef Vangelis Meimarakis zeigte sich verärgert, weil Tsipras im EU-Parlament frühere griechische Regierungen für den Schuldenberg verantwortlich gemacht hatte.

© SZ vom 09.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: