Gewalt in Tibet:Wenn die Bilder nicht zum Bild passen

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China wollte sich als Land der friedlichen Olympischen Spiele präsentieren. Doch die Bilder der Gewalt aus Lhasa haben diesen Plan durchkreuzt.

Stefan Kornelius

Chinas Polit-Dramaturgie hatte eine andere Botschaft an die Welt vorgesehen: Nach dem Ende des Volkskongresses sollte sich die Aufmerksamkeit auf Xi Jinpin richten, den neuen Vizepräsidenten des Landes, ein wichtiges Gesicht aus der nächsten Führungsgeneration. Xi ist mit der Aufsicht für die Olympischen Spiele beauftragt, die für China alles andere als nur einen sportlichen Wettbewerb darstellen.

Eine Aufnahme aus einem staatlichen TV-Sender: Chinesische Sicherheitskräfte zerren einen tibetischen Jungen über eine Straße in Lhasa (Foto: Foto: AFP)

"Eine Welt, ein Traum", heißt das Motto der Spiele, und das Organisationskomitee hat eine kleine Philosophie um das chinesische Wörtchen "tongyi" konstruiert, was so viel wie "eins" oder "Einheit" bedeutet. Tongyi unterstreiche, dass "die gesamte Menschheit auf der selben Welt wohne und nach den selben Träumen und Idealen strebe", wie es die Olympia-Organisatoren formulieren.

Allerdings: Es besteht ein krasser Widerspruch zwischen dem chinesischen Politikmarketing und der Realität. In immer kürzeren Abständen wird China daran erinnert, dass es einen neuen Status genießt in der Welt, seitdem das Land mit Wachstumsraten von mehr als acht Prozent den sanften Pfad zur global agierenden Großmacht eingeschlagen hat.

Peking spürt internationalen Druck

"Offenbar ist die Führung noch nicht so weit, dass sie sich als volles Mitglieder der internationalen Gemeinschaft einbringen will - und wir sind darüber erstaunt", sagt James Mann vom Center for Strategic and International Studies in Washington, einer der besten China-Kenner der westlichen Welt. "Sie wollen einfach nicht erkennen, dass irgendjemand außerhalb des Landes betroffen ist."

Außerhalb der chinesischen Grenzen aber nimmt keiner mehr Rücksicht auf diese Befindlichkeit. James Mann sah die Vorboten diesen unsanften Erweckungserlebnisses bereits im vergangenen Jahr kommen, als sich weltweit ein Sturm der Entrüstung über die schlechten Sicherheitsstandards bei chinesischem Spielzeug erhob. "Das war eine neue Erfahrung, dass es internationale Standards gibt, dass wir Erwartungen an sie haben", sagt er.

Von den Spielzeugen bis Tibet, von der Energiepolitik bis Darfur - China spürt den Druck der internationalen Gemeinschaft, und verstrickt sich immer wieder in einem klassischen Widerspruch: Der außenpolitische Anspruch steht im Gegensatz zur inneren Unfreiheit. Die Einheits-Rhetorik für die Spiele passt nicht zu den Bildern, die in einem Wettlauf um die Informationshoheit aus Lhasa in die Welt gelangten.

Dabei kann sich Peking durchaus großer Rücksichtnahme etwa von Washington erfreuen. Die neue Macht macht auch ein Stück weit unangreifbar. China ist als ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat umschmeichelt, sein Veto zum Beispiel gegen eine neue Iran-Resolution muss verhindert werden - und sei es, indem der Westen schlicht ignoriert, dass Peking gute Geschäfte auf den Öl- und Gasfeldern Irans macht. Gerade haben die USA China von der Liste der zehn größten Unrechtsregime genommen. Pekings stillschweigende Unterstützung für den Sudan oder Zimbabwe wird nur hinter verschlossenen Türen thematisiert.

Die Kritik sucht sich dann allerdings andere Kanäle: US-Regisseur Steven Spielberg, der an der Inszenierung der Sommerspiele mitwirken sollte, geriet wegen der Tibet-Politik derart unter Beschuss Hollywoods, dass er sein Engagement kündigte. Begründung: China unterstütze den Völkermord in Darfur.

Der Aufstand in Tibet wird die internationale Aufmerksamkeit wach halten. In zwei Wochen wird in Taiwan gewählt, und selbst wenn der große Showdown über die Unabhängigkeit der Insel vor den Spielen nicht stattfindet - das Thema wird nicht verschwinden. Auch der Aufstand in Tibet, so meint James Mann, wird eine Episode bleiben. China hatte über Jahrhunderte mit starker Hand das Reich zentral zusammengehalten - auch diesmal gebe es keine Indizien, dass die Einheit ernsthaft bedroht sei.

Der Aufstand erinnere aber daran, "dass das gegenwärtige System ein Garant für Instabilität" sei. "Im Interesse für Stabilität und wirtschaftliches Wachstum sollten die Regierungen des Westens China klar machen, dass es sein Ein-Parteien-System reformieren muss." Wahrscheinlicher ist jedoch, dass Chinas Turbo-Kapitalismus ungebremst weiter wachsen wird - das politische System aber starr bleibt.

© SZ vom 17. März 2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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