Gesundheitswesen:Ampel-Arznei

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Die perfekte Medikamentierung für jeden, das soll personalisierte Medizin künftig leisten. Grundlage sind die gesammelten Daten über die Patienten. Doch die Digitalisierung im Gesundheitswesen wird oft noch mit Skepsis gesehen. (Foto: Matthias Hiekel/dpa)

Die Ärzteschaft fühlt sich in ihrer Verordnungs-Freiheit bevormundet: Die Krankenkassen wollen, dass Medikamente in Wirksamkeits-Gruppen eingeteilt werden.

Von Guido Bohsem, Berlin

Die Idee ist so gut, dass es Ärger geben musste. Seit mehr als fünf Jahren verhandeln Pharmaindustrie und Krankenkassen über die Preise neuer Medikamente, wobei die Mittel intensiv geprüft wurden. Festgestellt wird zum Beispiel, ob sie tatsächlich einen Zusatznutzen gegenüber einem herkömmlichen Medikament bringen und für welche Patientengruppen dieser Zusatznutzen überhaupt nötig ist. Doch der verordnende Arzt bekommt diese Informationen gar nicht zu Gesicht.

Das soll sich ändern. Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) lässt derzeit ein Gesetz dazu ausarbeiten. Die Infos aus der Nutzenbewertung sollen in die Computer jeder Arztpraxis eingespeist werden. So soll jeder Patient genau das Medikament bekommen, das er braucht. Die Regelung wird wahrscheinlich auch dazu führen, dass die Krankenkassen Geld sparen. Schließlich erkennt ein Mediziner sofort, wenn es zwecklos ist, ein teures neues Medikament zu verordnen, weil es nur allgemein gegen die Krankheit hilft. Eine gute Idee, finden so ziemlich alle im Gesundheitssystem. Auch der Ärztetag wird sich von Dienstag an wohl mit der Frage teurer Medikamente beschäftigen. Doch über die Details ist eine heftige Debatte entbrannt.

Patienten sollen in neun Kategorien eingeteilt werden

Für die oberste Arzneimittel-Expertin des Spitzenverbandes der Krankenkassen, Antje Haas, ist die Sache klar: "Deutschland ist das einzige Land in der EU, in der die Nutzenbewertungen nicht herangezogen werden, um darüber zu entscheiden, ob das Medikament erstattet werden kann oder nicht." Und so werde es auch erstattet, wenn es für die betroffenen Patientengruppe keinen zusätzlichen Nutzen habe. Etwa das Medikament Sovaldi, das gegen Hepatitis C eingesetzt wird und pro Tablette stolze 488 Euro kostet. Insgesamt wurden neun Patientengruppen festgestellt. Sie unterscheiden sich nach Genotyp oder dem Verlauf der Krankheiten. "Nur in einer Patientengruppe sah der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) einen Hinweis für einen beträchtlichen Zusatznutzen von Solvaldi", sagt Haas. In fünfen gebe es einen Anhaltspunkt auf einen geringen Zusatznutzen, und für drei Patientengruppen sei nicht belegt, dass es überhaupt einen gebe. "In der Praxissoftware des Arztes findet sich aber kein Hinweis auf diese Unterschiede."

In manchen Fälle komme es durch diese fehlenden Informationen zu einer Fehlversorgung, sagt Haas. So habe der G-BA beim Wirkstoff Axitinib, der bei fortgeschrittenem Nierenkrebs eingesetzt wird, lediglich bei einer Patientengruppe einen geringen Zusatznutzen festgestellt. Für 99 Prozent der Patienten sei kein Zusatznutzen belegt. Und doch sei 2014 Axitinib 174-mal so oft verordnet worden, wie es nach der Bewertung sinnvoll war.

Nach dem Willen der Krankenkassen soll die Praxissoftware deshalb so überarbeitet werden, dass der Arzt künftig auch aufgefordert wird, die Patientengruppe festzulegen, wenn er einen Wirkstoff verordnet. So erfahre er, wie die Nutzenbewertung für den von ihm vorgesehenen Wirkstoff ausgefallen ist und ob er für diese spezifische Patientengruppe auch geeignet ist. "Ausgestaltet werden könnte der Hinweis dann in Signalfarben sein, wie bei einer Ampel."

Haas will dem Arzt die Freiheit lassen, sich im Rahmen über die Hinweise hinwegzusetzen. "Er wird dies aber gegebenenfalls begründen müssen." Die Kassen erwarteten zudem, dass die gewählte Patientengruppe automatisch auf das Rezept übertragen und somit in die Abrechnung eingefügt wird. Dadurch wollen die Kassen kontrollieren können, ob die Mittel korrekt verschrieben werden oder nicht.

Auch die Ärzteschaft begrüßt die Idee eines besseren Informationssystems. Doch gehen KBV-Vorstand Regina Feldmann die Vorstellungen der Krankenkassen über das Ausmaß der Transparenz zu weit. "Wir wollen die Informationen in ganz kondensierter Form darstellen und vor allen Dingen neutral", sagt sie. Die Ärzte sollten eine informierte Entscheidung treffen können und nicht zu einer bestimmten Behandlung verpflichtet werden. So müsse man zum Beispiel auch darstellen, dass ein "nicht erwiesener Zusatznutzen" unter Umständen nur verhängt wird, wenn nicht genügend Studiendaten vorhanden sind. Dies sei auch beim Hepatitis-Mittel Sovaldi bei einer Patientengruppe der Fall.

Eine Ampelregelung lehnt die Ärzteschaft jedenfalls ab. "Das ist viel zu starr und nicht sachgerecht." Gar nicht infrage komme es, dass sich Ärzte rechtfertigen müssten, wenn sie abweichend verordneten. Dann drohe sogar, dass die Kassen Regress von den Medizinern fordern könnten, sagt Feldmann.

© SZ vom 23.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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