In der Gesundheitspolitik der großen Koalition herrschte bislang emsige Harmonie. In wohl keinem anderen Themenbereich ist die schiere Anzahl der verabschiedeten Gesetze so groß. Und auf kaum einem anderen Feld zickten sich SPD und Union so wenig an, obwohl doch heftiger politischer Streit beim Thema Gesundheit der Normalzustand ist. Das lag an drei Dingen: einem sehr detailliert ausgearbeiteten Koalitionsvertrag, einem Minister, dessen Unwille zur öffentlichen Auseinandersetzung ihm den Spitznamen "wandelnder Kirchentag" eingebracht hat, und schließlich lag es am Geld.
Durch die immer höhere Anzahl an Beschäftigten nahmen die Kassen immer mehr Geld ein. Und die Koalition entschärfte zahlreiche Konflikte, indem sie Ärzte, Krankenhäuser, Apotheker und so ziemlich jede andere Gruppe an dem neuen Wohlstand teilhaben ließ.
Doch steht die Gesundheitspolitik vor einer Zeitenwende. Die Wohltaten schlagen sich nun immer deutlicher als zusätzliche Kosten für die Krankenkassen und damit für die Versicherten nieder. Das Geld wird wieder knapp, und die Auseinandersetzung im System bissiger.
Seit Wochen fechten die Kassen hinter den Kulissen einen erbitterten Kampf, um die Spielregel zu ändern, nach denen die Beitragsmilliarden untereinander verteilt werden - mit dem Ziel, die eigene Finanzlage zu verbessern und zwar auf Kosten der Konkurrenz.
Im Jahr der Bundestagswahl fürchtet man die Beitragszahler
Längst hat der Zoff die Politik erreicht. Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) schlägt vor, die Reserve des Gesundheitsfonds um 1,5 Milliarden Euro zu erleichtern, um damit gestiegene Ausgaben für Flüchtlinge und den Ausbau der Digitalisierung zu finanzieren. Das sind gute Gründe. Doch dient der Griff ins Ersparte in erster Linie dazu, für 2017 einen deutlichen Anstieg der Kassenbeiträge zu verhindern. Im Jahr der Bundestagswahl fürchtet man die Beitragszahler.
Der Koalitionspartner hat sich bereits abgesetzt und bastelt an der Wahlkampfstrategie. Nach Willen der Sozialdemokraten soll der Zusatzbeitrag für die Arbeitnehmer gesenkt und stattdessen die Arbeitgeber zur Kasse gebeten werden. Das war im Koalitionsvertrag noch anders abgemacht, was der SPD aber inzwischen egal ist.
Wer immer die Gesundheit nach der Wahl zu verantworten hat, darf sich auf etwas gefasst machen. Denn er (eine Sie ist nicht in Sicht) muss die Zeche für die Wohltaten der großen Koalition begleichen. Will er verhindern, dass eine ganze Reihe von Krankenkassen in wirtschaftliche Schwierigkeiten kommen oder in die Pleite rutschen, wird er wieder sparen müssen.
In dicht besiedelten Bundesländern ist die Zahl der Krankenhäuser nach wie vor zu hoch - also wird man einige Häuser schließen müssen. Auch führen die Preisverhandlungen für neue Medikamente nicht zu den erhofften Einsparungen, hier muss die Pharmaindustrie mehr zahlen. Beides wird nicht ohne Streit gehen. Den braucht das System auch nach Jahren der kostenintensiven Harmonie.