Gekommen, um zu gehen:Selten Willkommen

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In manchen Ländern dürfen Flüchtlinge aus Südosteuropa eher bleiben als in Deutschland. Doch meistens zeigt man Härte.

Von Jan Bielicki

Nur eine hat es geschafft. Oder einer? Nur ein Mensch jedenfalls von genau 21 878 serbischen Staatsbürgern, über deren Asylanträge das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im vergangenen Jahr entschieden hat, wurde in Deutschland als Flüchtling nach der Genfer Konvention anerkannt, weil er in der Heimat Verfolgung zu befürchten hat. 17 weiteren Serben sprach das Amt sogenannten subsidiären Schutz zu; das heißt, sie dürfen bleiben, weil ihnen bei einer Rückkehr ernsthafter Schaden droht, etwa unmenschliche oder erniedrigende Behandlung. 25 weitere Serben nahm man aus humanitären Gründen auf, meist weil sie krank waren.

Doch selbst wenn man alles zusammenrechnet, ist die Chance für Serben, über das Asylverfahren Aufnahme in Deutschland zu finden, sehr klein. 2014 lag die Schutzquote bei 0,2 Prozent. Sehr viel höher war sie auch für Bewerber aus Bosnien-Herzegowina oder Mazedonien (je 0,3 Prozent), Kosovo (1,1 Prozent) oder Albanien (2,2 Prozent) nicht - wobei auch hier in den meisten Fällen humanitäre Gründe den Ausschlag gaben, wenn ein Antragsteller doch mal bleiben durfte. Es sind diese geringen Quoten, mit denen deutsche Politiker ihre Forderung begründen, alle sechs Nicht-EU-Länder Südosteuropas zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären. Bisher gilt diese Einstufung nur für Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien.

Flüchtlingsorganisationen wie Pro Asyl argumentieren dagegen, dass andere europäische Länder die Lage auf dem Balkan ganz anders beurteilen. Kanzlerin Angela Merkel forderte am Sonntag sogar, man brauche "eine gemeinsame Einschätzung, welche Herkunftsländer sicher sind und welche nicht". In der Schweiz etwa, so rechnet Pro Asyl vor und stützt sich auf Zahlen des EU-Statistikamts Eurostat, erhielten 37 Prozent der Asylsuchenden aus Serbien und 40 Prozent aus Kosovo Schutz.

Allerdings waren es nur 1023 Menschen vom Balkan, die 2014 Schutz in der Schweiz suchten. In Deutschland zählte man 63 000, bezogen auf die Größe beider Länder also sechs Mal so viele. Woran das liegt? Vielleicht daran: "In der Tat ist diese Zahl falsch", heißt es aus dem Berner Staatssekretariat für Migration auf die Frage nach den hohen Schutzquoten. Laut der Behörde wurde nur einem von 323 Bewerbern aus Serbien und 13 von 529 aus Kosovo Asyl gewährt - das sind ähnlich niedrige Quoten wie in Deutschland. Dass relativ viele der Abgelehnten dennoch "vorläufige Aufnahme" fanden, hatte fast ausschließlich humanitäre Gründe: Krankheit, familiäre Bindungen oder die lange Bearbeitungszeit der Anträge bei Altfällen. Diese vorläufige Aufnahme garantiert indes keinesfalls einen dauerhaften Aufenthalt.

Tatsächlich fährt die Schweiz einen harten Kurs. Neben Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien gilt auch Kosovo als "verfolgungssicherer Staat". Über das Schicksal von Bewerbern aus diesen Staaten wird "innert 48 Stunden" entschieden, sie müssen in den Empfangs- und Verfahrenszentren bleiben und bekommen kein Geld bis zu ihrer "Wegweisung" oder gar "Ausschaffung" - Schweizer Amtsdeutsch kann ebenso rigide klingen wie sein hochdeutsches Pendant. Bayerns Staatsregierung nennt die Schweiz gerne als Vorbild.

Zur Härte gegen Asylsuchende vom Balkan tendiert aber ganz Europa. Laut Eurostat wurden 2014 EU-weit nur etwa 1100 von 65 000 Antragstellern aus den sechs Balkanstaaten als Flüchtlinge anerkannt, das sind 1,7 Prozent. Nur in Frankreich und Belgien liegen die Quoten merklich höher. Die französische Asylbehörde Ofpra gewährte 2014 zwischen vier (Montenegro) und 14 Prozent (Serbien) der erwachsenen Antragsteller Schutz, vor allem Roma, aber auch Albanern wegen der örtlich vorkommenden Blutrache. Wieder handelt es sich meist um subsidiären Schutz, die Menschen gelten nicht als verfolgt wegen ihrer Religion, Nationalität oder politischen Überzeugung. Die Flüchtlingsorganisation Terre d'Asile kann nur geringe Unterschiede zu anderen Staaten erkennen: "Die Quote ist auch bei uns sehr niedrig", sagt ein Sprecher. Zumal Frankreich wie Belgien zunächst alle sechs Balkanländer als sichere Herkunftsstaaten eingestuft haben. In beiden Ländern strich das oberste Justizorgan jedoch jeweils ein Land von der Liste: in Belgien Albanien, in Frankreich Kosovo - "wegen der Gewalttaten, der bestimmte Kategorien der Bevölkerung ausgesetzt sind", wie der Staatsrat in Paris anmerkte.

Fast alle Asylbewerber vom Balkan konzentrieren sich auf wenige Länder. 2014 kamen gut 55 Prozent nach Deutschland, 15 nach Ungarn, elf nach Frankreich und sechs nach Schweden, zusammen also 90 Prozent aller 110 000 Balkan-Flüchtlinge. Im nahen Italien hingegen beantragten nur etwa 600 Asyl. Das von Rechtsnationalisten regierte Ungarn wurde seine fast ausschließlich aus Kosovo stammenden Zuwanderer dagegen schnell los - durch Abschreckung und Nicht-Erledigung der Anträge. Innerhalb eines Jahres verschwanden fast 11 000 Asylbewerber, ohne ihr Verfahren abzuwarten. Sie seien wohl, so vermutet das europäische Asylamt Easo, weitergereist nach Österreich, Schweden oder Deutschland.

© SZ vom 18.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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