Geheimdienste:Terrorfahndung im Alpenvorland

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Abhörfabrik in Panoramakulisse: Die Geheimdienste fangen in Bad Aibling vor allem Kommunikation aus Afghanistan, Syrien, dem Irak und Libyen ab. (Foto: Diether Endlicher/dpa)

BND und NSA kooperieren wieder eng - in der Abhöranlage von Bad Aibling. Berlin befürchtete, brisante Warnungen zu verpassen.

Von G. Mascolo

Mächtige Berge, die Sonne scheint, auf den saftigen Wiesen ist der Schnee schon wieder geschmolzen. Eine wunderbare bayerische Landschaft im Alpenvorland. Und mittendrin riesige weiße Golfbälle, wie zufällig in die Gegend geworfen.

So, als Fotomotiv, kennt fast die ganze Welt Bad Aibling - jene beschauliche 18 000-Einwohner-Stadt im oberbayerischen Landkreis Rosenheim. Und doch hat sich etwas Entscheidendes geändert.

Nach Informationen von SZ, NDR und WDR haben der Bundesnachrichtendienst (BND) und der US-Geheimdienst NSA die gemeinsame Überwachung des Internets durch die Abhörfabrik in Bad Aibling wieder aufgenommen; die Parabolspiegel, die sich unter den überdimensionierten Golfbällen verbergen, sind auf Satelliten ausgerichtet. Die Station fängt nach Angaben aus Regierungskreisen vor allem Kommunikation aus dem sogenannten Islamischen Krisenbogen ab - Afghanistan, Syrien, dem Irak, Libyen.

Fast ist es schon wieder wie in alten Zeiten. Nur, dass die Welt, nach anschwellendem Terror und Kriegen, inzwischen aus den Fugen zu geraten scheint. Und dass die Maßstäbe von Freundschaft, Fairness und Verrat sich wieder einmal verschoben haben.

Noch vor ein paar Monaten wäre das schwer vorstellbar gewesen. Im Mai war die Lausch-Kooperation nach einem Eklat ausgesetzt worden. Seit 2002 hatten NSA und BND hier zusammengearbeitet. Laut der streng-geheimen Vereinbarung sollte es vor allem um die Suche nach Terroristen und Waffenschiebern gehen. Doch dann kam heraus, dass die NSA den deutschen Freunden Zehntausende Suchbegriffe, sogenannte Selektoren, untergeschoben hatte, die gar nichts mit der Suche nach Kriminellen zu tun hatten. Es ging um ganz gewöhnliche Spionage - vor allem gegen Diplomaten und Spitzenpolitiker befreundeter EU-Staaten. Das Kanzleramt war düpiert, der BND wurde angewiesen, künftig für jeden von den Amerikanern übermittelten Suchbegriff eine Begründung zu verlangen. So etwas dürfe sich nicht wiederholen.

Die NSA erklärte, so schnell gehe das nicht. Immerhin hatten die USA den BND zuletzt mit 4,5 Millionen Suchbegriffen beliefert, die 1,2 Millionen Personen und Institutionen betrafen. Nur für abgehörte Telefonnummern gab es jeweils eine kurze Begründung der NSA; aber eben nicht für E-Mail-Adressen, das Gros der Überwachung. Kurzerhand beendeten BND und Kanzleramt deshalb diesen Teil der Kooperation. Die Datenbank der NSA für die Internet-Suchbegriffe wurde abgeschaltet - nichts ging mehr. Prompt machten Alarmmeldungen die Runde: Davon werde sich das deutsch-amerikanische Geheimdienstverhältnis nicht erholen, es gebe schon Überlegungen der USA, künftig lieber stärker mit Polen, Skandinaviern oder Franzosen zu kooperieren. Und, besonders gravierend: Deutschland werde künftig weniger Hinweise auf terroristische Bedrohungen erhalten - und stünde schutzlos da. Nicht nur für die Bundesregierung war das ein Albtraum.

Nichts davon ist eingetreten. Bereits seit Monaten liefern die Amerikaner nun Stück für Stück die eingeforderten Begründungen, der BND gibt sie in seine Computer ein. Vor allem die Netze in den Krisengebieten sollen das Ziel sein. Die erfassten Datenmengen sind riesig. Gerechnet wird in "Sessions", die jeweils eine Stunde dauern. Vor der teilweisen Stilllegung wurden in einer Session 23 Millionen Rohdaten erfasst. Auf Bad Aibling, das einen "einzigartigen Zugang" erlaube, wie die NSA einmal schrieb, will man nicht verzichten.

Bisher spricht nichts dafür, dass die Amerikaner noch einmal versuchen, den Deutschen etwas unterzujubeln. In keinem einzigen Fall soll der BND in den vergangenen Monaten eine der gelieferten Begründungen der NSA als nicht stichhaltig abgelehnt haben. Das Weiße Haus, so heißt es in Berlin, sei zudem zufrieden, dass bisher die meisten der hässlichen Details über amerikanische Spionageoperationen gegen die europäischen Freunde unter der Decke blieben. Genau deshalb hatte das Kanzleramt verfügt, dass nur ein Sonderermittler, aber nicht der NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages, die Einzelheiten erfahren dürfe. Die Opposition im Bundestag klagt dagegen vor dem Bundesverfassungsgericht.

Inzwischen läuft die Kooperation zwischen deutschen und US-Geheimdiensten wieder reibungslos, nichts werde zurückgehalten, heißt es. Auch bei der Terrorwarnung an Silvester in München spielten die Amerikaner eine Rolle. Ohnehin sind die Protestrufe aus Berlin leiser geworden, inzwischen kam heraus, dass auch der BND befreundete Regierungen ausspionierte - von Bad Aibling aus. Der Dienststellenleiter wurde wie andere höhere Chargen der Abteilung Technische Aufklärung inzwischen versetzt. In diesen Tagen will das Kanzleramt den Entwurf eines Gesetzes vorlegen, der politische Spionage gegen europäische Freunde verbietet und dem Bundestag ein Kontroll- und Mitspracherecht bei der Frage einräumt, wer künftig abgehört werden darf.

Wie schnell sich die Zeiten ändern.

© SZ vom 09.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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