Gefangenentransporte der US-Geheimdienste:Kanzleramt wusste von Entführung durch CIA

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Nicht nur Ex-Innenminister Otto Schily, sondern auch die Spitze der rot-grünen Bundesregierung wusste offenbar seit Sommer 2004 von illegalen Praktiken des US-Geheimdienstes CIA im Anti-Terror-Kampf.

Hans Leyendecker, Nico Fried und Nicolas Richter

Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung überprüfte der Bundesnachrichtendienst (BND) damals im Auftrag der Regierung den Fall des nach Afghanistan verschleppten Deutschen Khaled el-Masri. Dessen Anwalt hatte zuvor das Kanzleramt und das Auswärtige Amt unterrichtet. Die Erkenntnisse wurden offenbar nicht an die ermittelnde Staatsanwaltschaft in München weitergegeben.

Khaled el-Masri war Ende 2003 in Mazedonien festgesetzt und von CIA-Agenten nach Afghanistan geflogen worden. Dort wurde er bis Ende Mai 2004 verhört und misshandelt. Die Agenten hatten ihn für einen Terrorverdächtigen gehalten, doch bald stellte sich heraus, dass er unschuldig ist. Bis heute läuft kein Ermittlungsverfahren gegen ihn.

Sein Rechtsanwalt bat das Kanzleramt und das Außenamt im Juni 2004 um Hilfe. Der Vortrag seines Mandanten solle "geprüft werden". In einem Brief, der der SZ vorliegt, sicherte das Kanzleramt seine Hilfe zu. Im Auftrag der Regierung prüfte der Bundesnachrichtendienst die Vorwürfe. Er kam zu dem Ergebnis, dass Masri tatsächlich entführt worden war.

Berlin wollte die Angelegenheit aber in aller Stille erledigen. Die Staatsanwaltschaft München wurde offenbar nicht unterrichtet. Schily wurde nach SZ-Informationen von der Regierung beauftragt, die Sache bei einem Besuch in Washington zur Sprache zu bringen. Er habe in den USA gefordert, dass sich ein solcher Vorgang nicht wiederholen solle.

"Ein veritabler Skandal"

Die Washington Post hatte am Sonntag berichtet, Schily sei im Mai 2004 von dem US-Botschafter Daniel Coats von der irrtümlichen Entführung eines Deutschen durch die CIA informiert worden. Nach SZ-Informationen soll Schily sein Wissen zunächst weder Regierungsmitgliedern noch der Staatsanwaltschaft mitgeteilt haben. Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) sagte der SZ, dass sie von Schily über den angeblichen Coats-Bericht nicht informiert worden sei.

Die Bundesregierung äußerte sich am Montag äußerst zurückhaltend zu den Berichten über ein Gespräch zwischen Coats und Schily. Ein Sprecher des Innenministeriums sagte, man rekonstruiere den Vorgang. Ob dazu auch mit Schily selbst gesprochen werde, ließ er offen. Regierungssprecher Ulrich Wilhelm sagte, er habe keine Erkenntnisse darüber, ob Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Schily oder anderen Vertretern der Ex-Regierung Kontakt aufgenommen habe.

Als "veritablen Skandal" bezeichnete FDP-Generalsekretär Dirk Niebel die Affäre um die "unheimlichen CIA-Flüge". Das Vorgehen der CIA sei ein "Anschlag auf die deutsche Souveränität", die Entführung eines deutschen Staatsbürgers durch die CIA ein "Angriff auf den Rechtsstaat". Niebel forderte auch Aufklärung, welche deutschen Regierungsmitglieder was gewusst hätten. "Wer schweigt, macht sich mitschuldig."

Dass der damalige Außenminister Joschka Fischer und sein Nachfolger Frank-Walter Steinmeier, damals Kanzleramtschef, nichts gewusst haben sollen, "glaubt doch kein Mensch", sagte Niebel. Auch die Grünen forderten Aufklärung. Parteichef Reinhard Bütikofer sagte, Fischer und die zwei anderen Grünen-Minister im Kabinett seien nicht über ein etwaiges Treffen von Coats und Schily informiert worden. "Wir haben bei allen drei früheren Ministern nachgefragt."

Rice weist Kritik zurück

US-Außenministerin Condoleezza Rice, die an diesem Dienstag in Berlin mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und Steinmeier zusammentrifft, gab am Montag vor ihrer Europareise zu erkennen, dass eine umfassende Information über die geheimdienstlichen Aktivitäten von ihr nicht zu erwarten sei.

"Wir können nicht Informationen diskutieren, die den Erfolg von Geheimdienstarbeit, Strafverfolgung, Militäreinsätzen gefährden würden", sage Rice vor ihrem Abflug auf dem Stützpunkt Andrews im US-Staat Maryland. "Wir erwarten, dass sich andere Nationen dieser Ansicht anschließen."

Kritik an der US-Terrorismuspolitik wies Rice mit dem Hinweis zurück, amerikanische Informationen hätten Anschläge verhindert und auch in Europa und anderen Ländern Menschenleben gerettet. Auf Fragen, ob es geheime CIA-Gefängnisse in Europa oder anderswo gebe, antwortete sie nicht. "Wir werden jede rechtmäßige Waffe einsetzen, um diese Terroristen zu schlagen", sagte sie.

"Es liegt jetzt an jenen Regierungen und ihren Bürgern zu entscheiden, ob sie mit uns zusammenarbeiten wollen und wie viel sensible Informationen sie öffentlich machen können", sagte Rice. Sie versicherte, die USA benutzten nicht den Luftraum oder Flughäfen eines Landes, um Gefangene zu transportieren, "wenn wir glauben, dass sie gefoltert werden". Hinsichtlich der Gefangenen halte sich die US-Regierung an ihre "Gesetze, Verfassung und vertraglichen Verpflichtungen".

© SZ vom 6.12.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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