Weihnachtsansprache:Gauck - Einer für alle

Der Bundespräsident will keinen Skeptiker zurücklassen: Seine Weihnachtsansprache macht aber auch deutlich, wie hin und hergerissen seine Haltung in der Flüchtlingfrage ist.

Kommentar von Nico Fried

Die weihnachtliche Stimmung im Schloss Bellevue wirkt 2015 gedämpft. Jedenfalls hat Joachim Gauck für seine Fernsehansprache eine eher deprimierende Dramaturgie gewählt. Er referiert zunächst ausführlich über Krieg, Terror und Katastrophen. Und über die Flüchtlinge.

So nahtlos geht das Staatsoberhaupt nach der Erinnerung an Syrien, Paris und Germanwings zu diesem Thema über, dass man meinen könnte, Gauck wolle auch den Zuzug Hunderttausender Hilfe suchender Menschen noch der Kategorie Unglück zuordnen. Für die Betroffenen ist es das natürlich - aber für die Deutschen?

Die Ansprache spiegelt noch einmal Gaucks ambivalente, ja hin und her gerissene Haltung in der Flüchtlingsfrage. Es war einerseits er, der schon im Sommer 2014, lange vor der Regierung, zu mehr Flüchtlingshilfe aufrief. Aber es war auch Gauck, der 2015 früh anregte, die berühmte Obergrenze zu definieren. Angela Merkels "Wir schaffen das" hat er sich stets verweigert - zugleich begeistert er sich an der Warmherzigkeit vieler Deutscher, die doch letztlich versuchen, die Devise der Kanzlerin umzusetzen.

In der Weihnachtsansprache äußert Gauck eine vorsichtig formulierte Zuversicht. Doch er will, wie es dem Verständnis vieler Deutscher von ihrem Staatsoberhaupt entspricht, ein integrativer Präsident sein, der keinen Skeptiker zurücklässt. Und dabei redet er nicht wirklich gegen den Eindruck an, dass er auch selbst zu diesen Skeptikern gehört.

© SZ vom 24.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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