Gastkommentar:Wir, an der Weltspitze

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Glaubt man dem Koalitionsvertrag zwischen Unionsparteien und SPD, so wandeln die Deutschen künftig ins digitale Paradies. Alles wird besser, schöner, neuer. Viele große Worte stehen in dem Dokument - die wenig aussagen.

Von Michael Krüger

Kein Mensch glaubt, dass die Geheimnisse des politischen Geschäfts in Koalitionsverträgen veröffentlicht werden. Kommt ein Trump dazwischen, ändern sich die Rahmenrichtlinien, explodieren die Banken, muss das ganze System überdacht werden. Koalitionsverträge sind noch keine Politik. Sie sind vage Vorannahmen.

Also lesen wir im Entwurf für eine neue große Koalition der kleinen Volksparteien CDU, CSU und SPD von dem Digitalpakt Schule, der nationalen Dekade für Alphabetisierung, der Initiative Berufsbildung und der Rentenkommission "Verlässlicher Generationenvertrag", wir freuen uns, dass die "Lücken in den Haltungsnormen im Tierschutz" geschlossen werden sollen und dass es folglich ein Ziel der Koalition sein wird, "das Töten der Eintagsküken bis zur Mitte der Legislaturperiode zu beenden". Fürderhin soll der Gewalt "gegen Polizeibeamtinnen und -beamte und andere Repräsentantinnen und Repräsentanten auf allen Ebenen konsequent entgegengewirkt werden" und selbstverständlich wird "der Bundesaltenplan zusammen mit den Seniorenorganisationen weiterentwickelt und ausgebaut werden", wie natürlich die "Arbeit der im Rahmen des Bündnisses für bezahlbares Wohnen und Bauen eingesetzten Baukostensenkungskommission fortgesetzt wird", damit alle, am besten nach unserem Tod, mit einer Smart-Grids- und Smart-Meter-Technologie in einer Smart City oder Smart Rural Area die letzte Ruhe finden können. Man sieht förmlich, wie die Kanzlerin auf dieser neuen Smart-Ideologie besteht; man ahnt, wie der neue Heimatminister darauf achten wird, dass wir, "an der Weltspitze im Bereich der digitalen Infrastruktur", "allen Kindern und Jugendlichen gleiche Bildungschancen geben, damit Leistung und Talent über die persönliche Zukunft entscheiden, nicht die soziale Herkunft".

Und wer soll die Wunschliste der Politiker bezahlen? Auch wir natürlich, wir alle

Ist die leider unübersehbare Tatsache, dass eben nicht Leistung und Talent über die persönliche Zukunft entscheiden, sondern die soziale Herkunft, nicht längst bekannt? Steht sie nicht seit Jahren in allen Parteiprogrammen? Ist sie vielleicht ein Grund, warum viele Wähler den sogenannten Volksparteien den Rücken zugedreht haben? Wenn man sich durch diese 180 Seiten quält, hat man den Eindruck, als hätte das dort benannte Deutschland gerade einen langen Krieg hinter sich und müsse sich nun plötzlich auf eine inzwischen völlig veränderte digitale Welt vorbereiten. "In der Bundesregierung werden wir innovative Technologien wie Distributed Ledger (Blockchain) erproben", heißt es da,und wer nicht weiß, was das ist, kann sich im "Zentrum für künstliche Intelligenz", das "wir gemeinsam mit unseren Partnern errichten", kundig machen.

Mit anderen Worten: Wir wollen sicherstellen, wir wollen dazu beitragen, wir wollen die Umsetzung eng begleiten, wir wollen ausbauen, wir wollen umfassende Maßnahmen ergreifen, wir wollen die Wettbewerbsfähigkeit sichern. Da wir aber auch eine nationale Wirkstoffinitiative starten wollen und eine Nationale Dekade gegen Krebs, gleichzeitig die Küsten-, Polar- und Meeresforschung stärken wollen, fragt sich zunehmend, wer das bezahlen soll. Wir natürlich, wir alle. Das Wir des Vertrages nimmt den Mund voll, es verspricht mehr, als es halten kann, es malt ein digitales Paradies, in dem Milch und Honig fließen.

Es gibt einen Satz in diesem schönen, aber wahrscheinlich ganz unverbindlichen Dokument, der mich aufhorchen ließ: "Wir wollen Fluchtursachen bekämpfen, nicht die Flüchtlinge." Na also, es geht auch einfach. Jetzt zeigt mal, was ihr könnt, daran werdet ihr gemessen.

M ichael Krüger , 74, ist Schriftsteller in München.

© SZ vom 17.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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