Gastbeitrag:Partizipien für Menschen

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Es ist eine ärgerliche Modeerscheinung, Flüchtlinge plötzlich "Geflüchtete" zu nennen. So geht Individualität verloren.

Von Britta Jünemann

Flüchtlinge - das Wort klingt in meinen Ohren wie ein Zuspruch, ein Hilfsangebot an Menschen, die Schutz suchen. Auch die "Flüchtlingskrise" hat das Wort nicht erdrücken können. Es klingt frisch, dynamisch und auf jeden Fall liebevoll. Es ist eher mit "Liebling" konnotiert als mit "Schreiberling". Und ein "Schmetterling" ist doch ein wunderschönes Insekt, herausgehoben durch seine Leichtigkeit.

Aber jetzt soll es "Geflüchtete" heißen. Das klingt politisch korrekt. Immer mehr Flüchtlingsinitiativen sprechen von Hilfen für "Geflüchtete", und auch in den Zeitungen setzt sich dieses Wort durch. Dabei drückt sich in dem Partizip eine wenig hilfreiche Wortmelodie aus. Die Menschen haben einen Prozess durchgemacht. Sie sind geflüchtet und sind nun am Ende dieses Prozesses angekommen. Insofern ist das Wort "Geflüchtete" korrekt. Aber es klingt nicht gut, eher sperrig. Partizipien für Menschen zu verwenden ist kein Fortschritt. Das Wort Flüchtlinge wird zudem nicht negativ verwendet. Wenn abwertend über Menschen auf der Flucht gesprochen wird, dann mit Worten wie "Illegale", oder "illegale Einwanderer", oder "Asylanten". Nicht Flüchtlinge. Man stelle sich vor, aus dem "Tag des Flüchtlings" würde ein "Tag des Geflüchteten".

Der Schriftsteller Hans Peter Roentgen schreibt in einem wunderbaren Essay über die Vermehrung der Partizipien als Modeerscheinung. Ja, im Lateinischen klingen sie elegant, im Deutschen dagegen umständlich und konstruiert. "Mit Partizipien können Sie eine wundervolle Bürokratensprache produzieren", so Roentgen. Genau das ist es, was ich meine: Das Wort "Geflüchtete" klingt wie aus einem Verwaltungstext. Genau wie "Studierende" (statt Studenten), Promovierende (statt Doktoranden) oder Gesprächsbeteiligte (statt Gesprächspartner) und all die anderen Vorschläge für eine geschlechtergerechte Sprache. Auch sie nehmen der Sprache Kraft und Dynamik.

Ja, "Geflüchtete" mag sprachtheoretisch korrekt konstruiert sein. Sprache ist jedoch mehr als die Konstruktion von Bedeutungen. Sie entwickelt sich. Sie ist das Ergebnis eines dynamischen, auch eines historischen Prozesses. Das Suffix -ling steht im Deutschen, wenn es auf Personen bezogen wird, für eine Eigenschaft - ein Lehrling ist jemand, der noch angelernt wird, ein Fiesling ist jemand, der fies ist, ein Liebling ist jemand, der geliebt wird. Nun mag man einwenden, dass Flüchtlinge ja diese Eigenschaft verlieren, wenn sie ans Ziel ihrer Flucht gekommen sind. Und dass Flüchtlinge mehr sind als Menschen auf der Flucht. Konstruktivistisch stimmt das. Und doch ist "Flüchtling" ein wunderbares Wort. Und es ist ja keinesfalls exklusiv. Flüchtlinge sind immer auch Schülerinnen und Schüler, Einwohner, Bürgerinnen und Bürger, Mieter.

Das Argument, das Wort "Flüchtlinge" reduziere diese Menschen für alle Zeit auf diese Eigenschaft, ist daher falsch. Als "Flüchtlinge" werden Menschen bezeichnet, die vorübergehenden Schutz suchen. Werden sie anerkannt und integriert, sprechen die wenigsten Menschen noch von Flüchtlingen. Vielleicht werden diese Menschen jetzt auf ihre Nationalität reduziert, wie Syrer oder Afghanen oder Iraker, was auch nicht gut ist. In erster Linie sind sie doch Bürger und Partner in ihren verschiedenen Rollen.

Zudem ist zu fragen, ob die Flucht wirklich beendet wurde mit dem Ankommen in Deutschland. Die große Mehrheit der Flüchtlinge ist traumatisiert durch schreckliche Fluchterfahrungen, durch Krieg, Verfolgung und Folter im Heimatland. Auch wenn der äußerliche Fluchtprozess abgeschlossen ist, der innerliche ist es bei Weitem noch nicht. Flüchtlinge tragen ihr Schicksal mit sich in ihrer Seele.

Wann werden aus Schülerinnen und Schülern die "Beschulten"?

Das Wort "Flüchtling" ist aber nicht nur ein wunderschön klingendes Wort wie "Schmetterling", es verleiht auch einen Rechtsanspruch aufgrund der Genfer Flüchtlingskonvention. Viele Flüchtlingsinitiativen nennen sich "Flüchtlingsrat", so der Flüchtlingsrat NRW oder der Bayerische Flüchtlingsrat. Damit ist ein gesellschaftlicher Standpunkt verbunden: dass Flüchtlinge ein Teil der Gesellschaft sind und Rechte haben.

Zudem schafft das Wort Flüchtlinge eine Verbindung zu Fluchterfahrungen in der Geschichte, zu Flüchtlingsschicksalen wie dem von Willy Brandt oder zu den Erfahrungen von Flucht und Vertreibung nach 1945. So gelang es dem Bielefelder Flüchtlingsrat 1996, eine Ausstellung zum Thema "Flucht und Vertreibung 1946 - 1996" gemeinsam mit dem Historischen Museum Bielefeld zu organisieren und dabei Flüchtlinge aus der Zeit nach 1945 und Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien, aus Bosnien und Kosovo, zu Wort kommen zu lassen. Gemeinsame Fluchterfahrungen, die Empathie und Verständnis schaffen können.

In den 1990er-Jahren hat sich das Wort Flüchtling gegen das abwertend klingende Wort "Asylant" durchgesetzt, indem Flüchtlingsinitiativen es aufgriffen, neben dem ebenfalls korrekten Wort "Asylbewerber". Ja "Asylant", das klang wirklich negativ. Das Wort "Flüchtlinge" war also ein Fortschritt: Flüchtlinge sind Menschen, die willkommen sind, weil sie auf der Flucht waren und Schutz brauchen.

Das sperrige Wort "Geflüchtete" mag sprachkonstruktivistisch korrekt sein, aber es birgt keine Emotion, kein Gefühl. Es ist nüchtern. So wie das Wort "Studierende" statt Studenten schon durch seine Partizipialkonstruktion künstlich wirkt. Es klingt in meinen Ohren, als ob man den Flüchtlingen, die als Teil eines Prozesses zu "Geflüchteten" werden, sprachlich ihre Individualität nimmt. Das Wort "Geflüchtete" hat zudem den Rechtsanspruch der Flüchtlinge gewissermaßen abgestreift. Ich mag es nicht. Und ich hoffe auch, dass aus Schülerinnen und Schülern nicht bald "Beschulte" werden.

Britta Jünemann , 54, ist stellvertretende Schulleiterin am Städtischen Gymnasium Gütersloh. Über viele Jahre war sie Sprecherin des Flüchtlingsrates NRW.

© SZ vom 02.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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