Frankreich:Zu spät

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Der 71-jährige Alain Juppé hat ein Einsehen: "Ich bestätige ein für allemal, dass ich nicht Kandidat für die Präsidentschaft der Republik bin." Frankreichs Konservative taumeln durch die Absage tiefer in die Krise.

Von Christian Wernicke, Paris

Noch ist Alain Juppé kein Wort über die Lippen gekommen. Und doch verrät seine Miene an diesem Montagmorgen sofort, was er sagen wird. Langsam wie bei einem Trauermarsch schreitet der Bürgermeister von Bordeaux die breite Marmortreppe seines Rathauses hinab, finster blickt er drein, da er hinter das Holzpult tritt. Schwarzer Anzug, weißes Hemd, Totenstille. Juppé weiß, dass in diesem Moment ganz Paris - oder jedenfalls die "classe politique" der Hauptstadt - auf ihn schaut. Der Ex-Premier beginnt, bei jedem zweiten Satz verzieht er die Mundwinkel, als beiße er auf unsichtbare Zitronenscheiben. "Ich bestätige ein für allemal", sagt er und hebt die Augenbrauen, "dass ich nicht Kandidat für die Präsidentschaft der Republik bin." Noch ein Blick, dann ein knappes Nachwort: "C'est trop tard."

Zu spät. Alain Juppé, dieser Vernunftpolitiker und moderate Republikaner, kann und will seine Partei nicht mehr retten. Auf ihn, den alten Haudegen und Zweitplatzierten bei der Vorwahl der französischen Rechten, hatten zuletzt viele Konservative neue Hoffnungen gesetzt, seit François Fillon, der Noch-Kandidat der bürgerlichen Opposition, sich in seinen Skandalen und wilden Theorien darüber verlor, Justiz und Medien wollten ihn - per Rechtsstaat und Recherche - "politisch ermorden". Doch nun: "Zu spät".

François Fillon werde sie in die sichere Niederlage führen, fürchten viele Konservative

Juppés Absage lässt Frankreichs Rechte noch tiefer in die Krise taumeln. Der rechte und katholische Flügel der Gaullisten klammert sich eisern an Fillon, die Pariser Solidaritätsdemo am Sonntag hat dem Aspiranten neues Selbstvertrauen eingehaucht: "Niemand kann mich dazu zwingen, meine Kandidatur zurückzuziehen", wiederholt Fillon seither. Die andere, moderate Hälfte der Partei und die meisten Parlamentarier starren bange auf die (sinkenden) Umfragen. "Mit Fillon rennen wir in eine Niederlage mit Ansage", schimpft der Abgeordnete Georges Fenech. Am Wochenende hatte deshalb Ex-Präsident Nicolas Sarkozy den "Plan B" gebilligt - Juppé sollte retten, was noch zu retten war. Und nun: wieder nichts.

Ende einer Karriere: Langsam wie bei einem Trauermarsch schreitet Alain Juppé die breite Marmortreppe seines Rathauses hinab. (Foto: Georges Gobet/AFP)

Wie wertvoll dieser Juppé hätte sein können, hat der 71-Jährige am Montag erneut gezeigt. Messerscharf analysierte Juppé die Lage der Rechten. Sein Bezwinger Fillon habe nach seinem Sieg bei der "Primaire" im November "einen Boulevard vor sich gehabt", eine breite Prachtstraße also, die ihn direkt in den Élysée-Palast hätte führen können - wenn da nicht die Affären um Fillons fragwürdige Anstellung von Frau und Kindern als "parlamentarische Assistenten" aufgetaucht wären.

Und wenn Fillon, so formuliert es Juppé gallig, nicht "in einer Verteidigung verloren hätte, die auf ein angebliches Komplott und dem Willen zu seiner politischen Ermordung baute". Das habe Fillon "in die Sackgasse" geführt, "und am Ende einer Sackgasse", so fügte der Mann aus Bordeaux später ätzend hinzu, "sollte man nicht weiter in dieselbe Richtung fahren."

Was folgte, war Selbsterkenntnis. Also jene Klugheit, die Fillon seit Wochen fehlt. Juppé nannte die Gründe, warum er nicht Kandidat sein könne. Der parteiinterne Hader habe "den harten Kern" der republikanischen Wählerschaft "radikalisiert". Er als moderater Mitte-rechts-Politiker hätte Fillon ersetzen und dessen "Programm des Bruchs" nicht glaubwürdig adoptieren können. Zudem, so glaubt Juppé, hätten diese Wahl und der "Fall Fillon" das Land verändert. Die Franzosen wollten "eine Erneuerung des politischen Personals" und "mehr denn je Vorbildhaftigkeit" ihrer Politiker. Juppé bedauert: "Das verkörpere ich nicht." Geburtsjahr 1945, zudem eine alte Verurteilung wegen früherer Fingereien - "c'est trop tard." Juppé sagt es nochmals, mit tonloser Stimme.

Also begannen die Republikaner am Montag, nach anderen Auswegen zu suchen. Die Parteigranden boten Fillon an, im Falle seines Rückzugs dürfe er seinen Ersatzmann selber aussuchen. Doch auch diese Idee zerschlug der Kandidat: "Es gibt keinen Plan B", sagte Fillon bei einer Krisensitzung des "Politischen Komitees" der Partei in Paris. Man habe bereits "zu viel Zeit verloren mit leeren Diskussionen", fuhr der 63-Jährige fort; "alle Menschen guten Willens mögen sich um meine Kandidatur versammeln". Nach zwei Stunden verkündete die Parteiführung dann überraschend, man stehe nun "einstimmig" hinter Fillon. Nur, das ist dieselbe Sackgasse, die Juppé am Morgen beschrieben hatte. Der zweite Ersatzmann in den Hinterköpfen wäre ein wirklicher "Plan B" gewesen: B wie François Baroin. Der 51-jährige Ex-Minister, ein enger Vertrauter von Sarkozy, genoss bisher Fillons Vertrauen. Jetzt scheint auch er blockiert zu sein. Parteirebellen suchen deshalb einen anderen Ausweg. "Wir müssen eine 'institutionelle Vorwahl' machen", glaubt der Abgeordnete Fenech. Der Fillon-Kritiker schlägt vor, zum ersten Durchgang der Wahl am 23. April einen zweiten Republikaner zu nominieren, als Gegenkandidaten zu Fillon. Das klingt, als wolle Fenech seiner Partei nun Selbstmord empfehlen.

© SZ vom 07.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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