Frankreich:Zerbrochene Einheit

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Diesmal kann der französische Präsident François Hollande nicht mehr auf den Zusammenhalt in Zeiten der Not zählen - der Zorn seiner Landsleute gilt immer stärker ihm persönlich. (Foto: AFP)

Wieder ein Anschlag, wieder ein Mann nordafrikanischer Abstammung - das ist Wasser auf die Mühlen des FN.

Von Leo Klimm, München

Die Bilder vom Terror in Frankreich gleichen sich - und doch ist etwas anders diesmal. Als Hollande am Freitag nach Nizza kommt, kann er nicht darauf zählen, dass seine politischen Gegner für einen Moment des Anstands den Parteienstreit zurückstellen. Regionalpräsident Christian Estrosi von der konservativen Oppositionspartei der Republikaner, bis vor Kurzem auch Bürgermeister von Nizza, gehört am Morgen nach der Terrornacht zu den Ersten, die Hollande angreifen. "Es muss endlich ein Ruck her", sagt Estrosi. "Das verlange ich von der Regierung."

Estrosi legt nahe, die sozialistische Regierung treffe an dem Attentat so etwas wie Schuld durch Unterlassung - weil sie seit Beginn der Anschlagserie in Frankreich Anfang 2015 im Kampf gegen den Terror versagt habe. Wie der Regionalfürst von der Riviera legen sich am Freitag viele in der konservativen und rechtsextremen Opposition schnell fest, obwohl noch unsicher ist, ob der Attentäter von Nizza wirklich aus islamistischem Antrieb gehandelt hat. Wobei der Modus Operandi des Anschlags in der Tat einem Muster des sogenannten Islamischen Staats entspricht. Hollande und seine Regierung wiederum spulen das auf grausame Art routinierte Szenario ab, das sie sich seit anderthalb Jahren angewöhnen mussten: Hollandes nächtliche Ansprache mit versteinerter Miene, die Sitzungen des Krisenkabinetts, der Besuch am Anschlagsort, die Anordnung der Staatstrauer. Und natürlich Hollandes Aufrufe der Entschlossenheit: "Nichts wird uns zurückweichen lassen in unserem Willen, den Terrorismus zu bekämpfen."

Doch die Worte nutzen sich ab. Nach den Massenmorden von 2015 in Paris war die Autorität Hollandes zumindest unmittelbar nach den Anschlägen noch gestärkt. Für ein paar Tage wurde von allen Parteien die nationale Einheit beschworen, gingen Millionen auf die Straße, zelebrierten trotzig die Verteidigung der Republik. Dieses Mal ist von Einheit keine Spur, die politischen Gegner gewähren der Regierung keine Schonfrist: Diese habe - ungeachtet des seit November geltenden Ausnahmezustands - zu wenig und zu schwach auf die ersten Anschläge reagiert, so der Tenor. Estrosi geißelt, Paris habe seine Rufe nach mehr Polizei für Nizza seit Monaten ignoriert. Parteifreund Alain Juppé, der 2017 für die Republikaner Präsident werden will, ist noch direkter: "Wären die nötigen Maßnahmen ergriffen worden, hätte es dieses Drama nicht gegeben."

Die politische Stimmung in Frankreich ist auf der Kippe. In einem Dreivierteljahr ist Präsidentschaftswahl, der neue Anschlag durch einen Mann nordafrikanischer Abstammung ist Wasser auf die Mühlen von Marine Le Pen, der Chefin des rechtsextremen Front National (FN). Und bei den Republikanern ist der interne Kampf zur Vorwahl in vollem Gang. Die Parteioberen setzen darauf, mit ihrer Kritik einer Empörung der Bevölkerung darüber Ausdruck zu geben, dass die Regierung die akute Terrorbedrohung nicht in den Griff bekommt.

"Frankreich wird mit dem Terrorismus leben müssen", sagt Premier Valls

Hollande sagt am Freitag, er wolle sich nicht auf das Niveau verbaler Exzesse herablassen. Er und Valls beschwören wieder einmal die Einheit: "Wir müssen geschlossen bleiben, alle zusammen kühlen Kopf bewahren", sagt Valls. Der Anschlag ausgerechnet am Nationalfeiertag sei ein Attentat gegen die Grundwerte, die das Land an jenem Tag feiere. Daher müsse es sich gerade jetzt um diese Werte sammeln. "Frankreich wird mit dem Terrorismus leben müssen", sagt Valls mit kaltem Realismus. Er hat das schon nach den November-Attentaten gesagt. Wohl wissend, dass der Staat Terrorismus kaum ausschalten kann. Noch Anfang der Woche hatte sich die Regierung erleichtert gezeigt, dass die Fußball-Europameisterschaft ohne Anschlag auf das Turnier verlaufen war.

Die Freude währte kurz. Über die Frage, ob der Staat tatsächlich alles Mögliche tut, tobt jetzt der Streit. "Viele Maßnahmen sind schon ergriffen worden", beschwichtigt Hollande. "Aber wir müssen unser Schutzniveau weiter anheben." Er kündigt die abermalige Verlängerung des Ausnahmezustands um drei Monate an. Der Ausnahmezustand gibt Ermittlern weitreichende Befugnisse, etwa zu Hausdurchsuchungen ohne richterliche Anordnung bei Terrorverdacht. Hollandes Kehrtwende wird von der Opposition nun als Ausweis von Planlosigkeit angeführt.

Entgegen einer anderen Ankündigung von Donnerstag will der Präsident auch die Zahl der Einsatzkräfte der Anti-Terror-Operation "Sentinelle" bei 10 000 belassen statt sie zu reduzieren. Zudem versetzt er die zivile Reserve in Bereitschaft. Diese 55 000 Freiwilligen mit und ohne militärische Ausbildung sollen beim Schutz von Frankreichs Grenzen helfen.

Konservativen und Rechtsextremen geht das nicht weit genug. "Der Krieg gegen die Plage des islamistischen Fundamentalismus hat noch gar nicht begonnen, es ist höchste Zeit, diesen Krieg zu erklären", sagt FN-Chefin Le Pen. Auch die Republikaner verlangen mehr Mittel und Rechte für die Sicherheitsbehörden. In den vergangenen Monaten hatten sie sogar Lager nach dem Vorbild des US-Camps Guantanamo gefordert.

"Der Ausnahmezustand regelt gar nichts. Das ist nur Psychologie", sagt der Konservative Georges Fenech, Leiter einer parlamentarischen Untersuchungskommission zu den Anschlägen von 2015. Für ihn ist Hollandes Antwort auf das Nizza-Attentat ein Zeichen der Ohnmacht. Fenechs Kommission fordert eine tief greifende Reform der teils unkoordinierten Geheimdienste. Doch Hollandes Innenminister will bei den Diensten keine massiven Schwächen erkennen.

Stimmen gegen eine weitere Verschärfung des Anti-Terror-Kampfes sind am Freitag kaum zu vernehmen. Nur Grünen-Chef David Cormand wagt sich vor: "Leider müssen wir feststellen, dass der Ausnahmezustand das Drama von Nizza nicht verhindern konnte."

© SZ vom 16.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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