Frankreich:Vor dem Durchmarsch

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Lehrt Frankreichs etablierte Parteien das Fürchten: Präsident Emmanuel Macron. (Foto: Philippe Wojazer/Reuters)

Präsident Emmanuel Macron kann bei der Parlamentswahl mittlerweile auf eine absolute Mehrheit hoffen - nicht zuletzt wegen der zu erwartenden hohen Zahl an Überläufern.

Von Christian Wernicke, Paris

Der Präsident liegt im Trend. Neueste Umfragen verheißen Emmanuel Macron, Frankreichs jungem Staatsoberhaupt, im Juni einen zweiten Triumph: Bei den Parlamentswahlen am 11. und 18. Juni könnte seine kürzlich umbenannte Partei La République en marche (LRM) die absolute Mehrheit erringen. Noch vor knapp drei Wochen, bei seiner demokratischen Kür zum Monarchen der Fünften Republik, hatte ein solcher Doppelsieg als unwahrscheinlich gegolten. Mehr als die Hälfte der Franzosen, die am 7. Mai für Macron gestimmt hatten, erklärten, sie hätten vor allem die Rechtspopulistin Marine Le Pen von der Macht fernhalten wollen. Es gab keine wirkliche "Macronmania". Nun, so scheint es, könnte En Marche ein Durchmarsch gelingen.

Wer A sagt, muss auch B sagen? Macron, der Neue, hat eine alte Gesetzmäßigkeit auf seiner Seite: Fast immer, wenn die Franzosen über ihr Parlament direkt nach einer Präsidentenwahl abstimmten, votierten sie für das Lager des Mannes, den sie zuvor in den Élysée-Palast geschickt hatten. Davon profitierten François Mitterrand (1981) wie Jacques Chirac (2002), Nicolas Sarkozy (2007) wie François Hollande. Nur hatten Macrons Vorgänger allesamt schlagkräftige Parteien hinter sich. En Marche ist im Juni erst 14 Monate jung.

En Marche bedient den Wunsch der Franzosen nach einem Elitenwechsel

Doch "jung und neu" sticht in diesem Jahr "alt und erfahren". Der "Bruch mit dem System", den Macron verspricht, ist vielen Wählern derzeit wichtiger als der Unterschied zwischen links und rechts. Reihenweise haben die Franzosen seit Herbst vorigen Jahres die erste Garde ihrer politischen Klasse in Rente geschickt. Auch die 577 Abgeordneten spüren den Sturm, der dem Establishment ins Gesicht weht: Mehr als jeder Dritte (insgesamt 210 Mandatsträger) verzichten freiwillig auf eine Wiederwahl und treten ab. En Marche bedient das Verlangen nach einem Elitenwechsel, bietet frische Gesichter auf: Die Hälfte der LRM-Aspiranten für die Nationalversammlung sind Bürger, die noch nie Politik als Beruf ausübten.

Schillerndstes Beispiel für diesen Neuanfang ist Marie Sara. Die 53-jährige Novizin mit den strohblonden Haaren kannten die Franzosen bisher als Stierkämpferin. Jetzt soll die telegene Torera auf Macrons Geheiß im südfranzösischen Gard ausgerechnet den bulligen Gilbert Collard zähmen, einen der beiden bisherigen Abgeordneten des Front National (FN). Ein anderer Schaukampf tobt im Norden von Paris, wo der 33-jährige Mounir Mahjoubi, Macrons Staatssekretär für Digitales, den Parteichef der maladen Sozialisten (PS), Jean-Christophe Cambadélis, herausfordert.

Bei seiner Jagd nach einer eigenen Mehrheit im Parlament arbeitet Macron mit allen Mitteln - auch mit Nachsicht für Altbekannte. In 30 Wahlkreisen verzichtet En Marche auf eigene Bewerber und unterstützt so - ohne direkt zur ihrer Wahl aufzurufen - kompromissfähige Republikaner oder Sozialisten. Die sollen sich dann, quasi als Mitläufer, bei den Marschierern einreihen. Sie drucken neue Plakate in hellem Blau der Macron-Kampagne und verzichten auf die alten Parteilogos. Stattdessen prangt als Slogan "majorité présidentielle" unter ihrem Namen, als Selbstverpflichtung, künftig Macrons Kurs im Parlament mitzutragen.

Von Juli an werden diese Mitläufer versuchen, Macrons Mitte mal nach links, mal nach rechts oszillieren zu lassen. Manuel Valls, der Ex-Premier, ist so ein Fall ohne LRM-Gegenkandidaten, oder auch die frühere Arbeitsministerin und PS-Kandidatin Myriam El Khomri. Und selbstverständlich bleibt auch dem bisherigen Republikaner Bruno Le Maire, inzwischen von Macron zum Wirtschaftsminister ernannt, Konkurrenz aus der neuen Mitte erspart. Der Mann steht eh genug unter Druck: Wer als Minister kandidiert und verliert, so hat Macron verfügt, fliegt aus dem Kabinett. Le Maires bisherige Parteifreunde, die Republikaner, haben ihn aus der Partei ausgeschlossen. Dasselbe Schicksal ereilte Édouard Philippe, Macrons Premier. Ausgerechnet Philippe wird nun Macrons Anführer im Wahlkampf. Der bärtige Hüne soll verhindern, dass die bürgerliche Rechte gegen den Präsidenten eine Parlamentsmehrheit erringt und ihm eine rechte Regierung aufzwingt. Noch vor wenigen Wochen saß Macrons Regierungschef in republikanischen Hinterzimmern, tüftelte am Programm und suchte rechte Kandidaten aus. Genau die muss Philippe nun selbst besiegen, als General der Marschierer. Um die 50 Republikaner, so gehen die Pariser Gerüchte, könnten sich nach der Wahl als parlamentarische Hilfstruppe für Macron entpuppen. Das würde Frankreichs bürgerliche Rechte zerreißen. Bis zum 18. Juni jedoch bleibt die konservative Opposition Macrons härtester Konkurrent im Kampf um die Gestaltungsmacht im Parlament.

Niemand kann heute präzise prognostizieren, wer demnächst im Palais Bourbon, dem Sitz der Nationalversammlung, die Mehrheit stellen wird. In einer Umfrage des Marktforschungsinstituts Harris Interactive kommt Macrons LREM auf 32 Prozent, die Republikaner sind auf 18 Prozent zurückgefallen. Die Regeln von Frankreichs Mehrheitswahlrecht und die Wahlabsprachen zwischen beiden Durchgängen begünstigen massiv die beiden Lager: die Marschierer dürfen auf die absolute Mehrheit (289 Mandate) hoffen, die Republikaner müssen momentan mit maximal 170 Sitzen kalkulieren. Die Sozialisten bangen um 50 bis 60 Plätze, ein karger Rest von den 291 Sitzen anno 2012. Der rechtsextreme Front National (derzeit bei 19 Prozent) wie auch die linksradikalen "Unbeugsamen" (16 Prozent) werden sich mit maximal zwanzig Sitzen begnügen müssen.

Ein Gewinner der Wahl könnte die oft als schwaches Parlament belächelte Nationalversammlung sein. Die Anführer aller Parteien streben diesmal ins Palais Bourbon, der Plenarsaal dürfte dramatische Redeschlachten erleben. Marine Le Pen bewirbt sich im Rostgürtel des altindustriellen Nordens um einen Sitz, der unbeugsame Altlinke Jean-Luc Mélenchon kandidiert in Marseille. Bisher verdienten die beiden Anti-Europäer ihre Tantiemen als EU-Abgeordnete. Nun, unter dem Pro-Europäer Macron im Élysée, kehren sie nach Paris auf die nationale Bühne zurück.

© SZ vom 26.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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