Frankreich:Sturm nahe der Bastille

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Nach Ausschreitungen in Paris vergangene Woche hat die Regierung ein Demonstrationsverbot für diesen Donnerstag erwogen. Und zum Spott der Opposition wieder verworfen. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Das Hin und Her der französischen Regierung, ob, wo und wann eine Gewerkschafts-Demonstration stattfinden darf, wird zur Lachnummer in Paris - und zum Symbol für Hollandes Schwäche.

Von Christian Wernicke, Paris

Immerhin, es gibt noch Menschen mit Humor in den Reihen von Frankreichs Sozialisten. Zu sprechen sind sie zwar "nur strikt anonym". Aber sie reden: "Niemand kann ernsthaft behaupten, unsere Regierung drohe zu stürzen", sagt am frühen Mittwochnachmittag ein Parlamentarier, der sich "zum loyalen Flügel" des Parti Socialiste (PS) zählt. Also zu jenen Sozialdemokraten, die die von Präsident François Hollande und Premierminister Manuel Valls geplante Liberalisierung von Frankreichs Arbeitsrecht befürworten. "Nein, wir wackeln da überhaupt nicht", versichert der PS-Mann, um dann trocken anzufügen: "Aber wir schlingern, dass mir schwindelig ist". Da drohe nun "ein Schleudertrauma".

Zuvor hatte der Sozialist miterleben müssen, wie Frankreichs Regierung im Stundentakt schwankte - zwischen totaler Konfrontation und fatalem Kompromiss mit den Gewerkschaften. Am Vormittag hatte die Polizeipräfektur von Paris eine für Donnerstag geplante Großdemonstration in der Hauptstadt verboten - "wegen Sicherheitsbedenken". Aus dem Hôtel Matignon, dem feinen Amtssitz des Premierministers, raunte es, Manuel Valls persönlich habe "diesen harten, klaren Kurs" verfügt. Gegen Mittag ergänzte ein Regierungssprecher im Élyséepalast, Präsident Hollande dulde keine Demo, "wenn die Voraussetzungen nicht gegeben sind". Das klang eindeutig. Nach Verbot.

Doch es kam anders. Zur selben Zeit nämlich handelte Bernard Cazeneuve, Frankreichs radikal pragmatischer Innenminister, mit den Gewerkschaften einen Kompromiss aus: Sie dürfen demonstrieren - aber auf kürzerer Strecke (1,6 statt 2,5 Kilometer) und nur nahe der Place de la Bastille und entlang des "Bassin de l'Arsenal", einem Kanalbecken. In einer Gegend also, wo vermummte Randalierer mangels schmucker Boutiquen oder verglaster Bankfilialen weniger Fensterscheiben als bei früheren Kundgebungen zertrümmern können.

Die Kehrtwende kurz nach High Noon machte die Regierung prompt zum Spott der Opposition. "Dieselbe Demo um 10 Uhr zu verbieten und um 13 Uhr zu erlauben", so höhnte der frühere Premierminister François Fillon, das sei "das katastrophale Resümee der gesamten Amtszeit" Hollandes. Auch von links hagelte es Kritik. Der linkssozialistische Präsidentschaftskandidat Jean-Luc Mélenchon schimpfte, Premier Valls habe die Demonstrationsfreiheit auf einen kurzen Rundmarsch um ein Hafenbecken reduziert, sein Kurs sei "so dumpf wie wirr". Die Gewerkschaften selbst bejubelten "einen Sieg für die Demokratie". Premier Valls versicherte am späten Nachmittag in der Nationalversammlung, er habe - "gemeinsam mit Präsident und Innenminister" - stets einen Kompromiss gesucht. Und überhaupt: "Wer glaubt wirklich, in unserem Land würden Gewerkschaftsrechte mit Füßen getreten?"

Ein paar PS-Rebellen kündigten an, man werde mitprotestieren, gegen die eigene Regierung

Genau diesen Eindruck jedoch hatten Philippe Martinez, der schnauzbärtige Chef der linken Gewerkschaft CGT, und Jean-Claude Mailly, der Vorsitzende der konkurrierenden "Arbeitermacht" (Force Ouvrière) seit Wochenbeginn schüren können. Nach Protesten aus den Reihen der von Terrorgefahr, Streiks und Fußball-Hooligans zermürbten Polizei hatte die Regierung den Gewerkschaften einen Demonstrationsverzicht in Paris abverlangt - und andernfalls mit Verboten gedroht. Nicht nur Gewerkschafter Mailly höhnte, dann könne man gleich die ganze EM verbieten. Historiker erklärten, ähnliche Verbote habe es zuletzt 1948 gegeben. Und die Liga für Menschenrechte sowie Amnesty International warnten vor einer Beschränkung französischer Freiheitsrechte. Eine Gruppe linker PS-Rebellen kündigte an, man werde am Donnerstag nicht ins Parlament gehen - sondern auf der Straße mit marschieren, gegen die eigene Regierung. Genau diese Signale einer Fraternisierung aller Regierungsgegner hatte Hollande vermeiden wollen. Der unpopuläre Sozialist hegt noch immer den Traum, bei den Präsidentschaftswahlen 2017 eine zweite Amtszeit zu ergattern. Dazu aber braucht er den Rückhalt einer halbwegs vereinten Linken. Allein zu diesem Zweck hatte er dem Plan von PS-Generalsekretär Jean- Christophe Cambadelis zugestimmt, einen Kandidaten der Linken per "Primaire", also per Vorwahl, zu bestimmen. Das sollte die regierende Linke einen - und Hollande im (wahrscheinlichen) Fall einer Bewerbung neue Legitimität verleihen. Das Manöver war nicht ohne Risiko: Mit Arnaud Montebourg, dem geschassten Wirtschaftsminister, steht den Hollande-Gegnern ein linker Volkstribun zur Verfügung. Aber eine erste Umfrage nährte Hoffnung: Hollande lag knapp vor Montebourg wie auch vor Emmanuel Macron, dem eher sozialliberalen Wirtschaftsminister.

Der seit Februar währende Streit über das Arbeitsrecht droht nun Hollandes Sehnsucht nach einer Versöhnung der Linken zu zerstören. Der linksradikale Jean-Luc Mélenchon, der bei der PS-Vorwahl eh nicht mitmachen will, dürfte jedem PS-Anwärter - und zumal Hollande - bei den Präsidentschaftswahlen zehn Prozentpunkte abjagen. Wie scherzte der Sozialist am Telefon: "Schleudertrauma". Um dann bitter zu ergänzen: "Das kann bis 2017 nachwirken."

© SZ vom 23.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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