Frankreich:Siegen lernen gegen Berlin

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Für viele Sozialisten in Paris hatte das Brüsseler Drama vor allem einen Helden: Alexis Tsipras.

Von Christian Wernicke, Paris

Die schrillsten antideutschen Stimmen erschallen in Frankreich stets von den Rändern. Aber, so zeigte sich am Montag, dieser Radau findet auch immer Widerhall. Den lautesten Kanonendonner gegen Merkel und Schäuble feuerte Nicolas Dupont-Aignan ab. Der Vorsitzende der rechtsradikalen Splitterpartei "Aufrechtes Frankreich" (Debout La France) twitterte bereits am Sonntag: "Deutschland will Griechenland vernichten, indem es mit der Drohung eines Grexit dieses dazu nötigt, einen tödlichen Plan totaler Unterwerfung zu akzeptieren", tönte der Abgeordnete der französischen Nationalversammlung. Und fügte hinzu: "Das Vierte Reich!"

Solch einen Nazi-Vergleich mochte Jean-Luc Melenchon, der Radikale am linken Ende des Spektrums, zwar nicht wagen: "Nein, das geht zu weit." Aber dann fand der Führer der Links-Partei "Parti de Gauche" doch historische Bezüge. Die Deutschen hätten seinem Freund Alexis Tsipras "doch einen Revolver an die Schläfe" gesetzt, um mit Hilfe von Frankreichs Präsidenten François Hollande ("ein einfacher Beisitzer") ihre Interessen durchzusetzen. Nein, mit der Ideologie von Hitler-Deutschland habe das nichts zu tun - aber: "Das ist dieselbe Arroganz, dieselbe Verblendung!" Später legte Melenchon noch eins drauf: "Zum dritten Mal in der Geschichte ist der Eigensinn einer deutschen Regierung dabei, Europa zu zerstören."

Die meisten Politiker in den etablierten Parteien Frankreichs gaben sich erleichtert: Die konservative Opposition dankte für Merkels Führung, die Sozialisten lobten Hollandes Rolle als Mittler. Klar antideutsche Töne färbten derweil die Debatte auf dem linken Flügel der regierenden Sozialisten (PS). So pries der linke Frondeur François Khalfon zwar mal ausnahmsweise seinen sozialdemokratischen Präsidenten ("Hätte François Hollande das Boot verlassen, wir hätten den Grexit"). Aber Khalfon fügte hinzu: "Hätten das griechische Volk und seine Führer heute kapituliert, dann wären die nächsten Länder auf der Liste Deutschlands." Und weiter: "Dieser liberale Dogmatismus spielt mit den Völkern."

Als Lehre aus dem Brüsseler Drama empfahl auch der linke PS-Vordenker Benoît Hamon, endlich mit Angela Merkels Austeritätspolitik zu brechen. Die sozialistische Regierung in Paris, der Hamon bis vor einem Jahr als Bildungsminister diente, müsse gegenüber Berlin endlich "einen anderen Gang einlegen" - und sie müsse von Tsipras lernen: "Welch eine Lektion!" lobte Hamon, "hier hat ein Land, obwohl es nur ein Achtel des wirtschaftlichen Gewichts Frankreichs aufbringt, sich mitten auf Europas Bühne gestellt" und letztlich "der europäischen Debatte einen großen Dienst erwiesen". Das klang wie: Von Athen lernen heißt siegen lernen - gegen Berlin.

© SZ vom 14.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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