Frankreich:Religionen gegen den Krieg

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Einen Tag nach der tödlichen Geiselnahme in Saint-Etienne-du-Rouvray wird die Kirche des Ortes von Polizisten bewacht. (Foto: Pascal Rossingnol/Reuters)

Nach dem Anschlag in einer Kirche machen die Anführer der Glaubensgemeinschaften in Paris Front gegen den Terror.

Von Stefan Ulrich, München

Nach dem Terroranschlag auf einen katholischen Gottesdienst in der Normandie versuchten die Religionsgemeinschaften Frankreichs am Mittwoch, gemeinsam gegen die Extremisten Front zu machen. "Wir dürfen uns nicht in das politische Spiel der IS-Miliz hineinziehen lassen, die die einen gegen die anderen aufwiegeln will", sagte André Vingt-Trois, der Kardinal von Paris, nach einem Treffen der Religionsführer mit Staatspräsident François Hollande im Élysée-Palast.

Der Rektor der Großen Moschee von Paris, Dalil Boubakeur, verurteilte den Anschlag auf die Kirche als "gotteslästerliches Sakrileg", das allen Lehren des Islam widerspreche. Er forderte die Muslime in Frankreich auf, ihre Institutionen zu reformieren und stärker auf die Ausbildung ihrer Imame zu achten. Die Religionsführer baten um "größere Achtsamkeit" für Kirchen, Moscheen und Synagogen. Sie räumten jedoch ein, dass nicht alle Gotteshäuser überwacht werden könnten. Kardinal Vingt-Trois nannte es lächerlich zu glauben, noch mehr Soldaten seien eine Garantie gegen Anschläge. Auch die beiden großen Kirchen in Deutschland betonten, es könne keine absolute Sicherheit geben. Die Kirchen müssten offene Orte bleiben.

Am Dienstag hatten zwei mutmaßliche Islamisten eine Kirche im nordfranzösischen Saint-Étienne-du-Rouvray überfallen, dem mehr als 80 Jahre alten Pfarrer die Kehle durchgeschnitten und einen Gottesdienstbesucher schwer verletzt. Als die Täter die Kirche verließen und auf Polizisten zuliefen, wurden sie erschossen. Zu der Tat bekannte sich die Terrormiliz Islamischer Staat. Es ist der erste islamistische Angriff auf eine Kirche in Frankreich gewesen. Kardinal Vingt-Trois sollte am Mittwochabend den Trauergottesdienst für die Opfer in der Pariser Kathedrale Notre Dame halten.

Präsident Hollande beriet sich am Mittwoch mit seinem Sicherheitskabinett. Danach kündigte die Regierung an, die 10 000 zur Unterstützung der Polizei eingesetzten Soldaten besser im ganzen Land zu verteilen. Auch solle die Reserve der Gendarmerie aufgestockt werden. Nach einem Aufruf an die Franzosen vor zehn Tagen, sich freiwillig als Reservisten zur Verfügung zu stellen, hätten sich bereits 2500 Menschen gemeldet, hieß es.

Die oppositionellen bürgerlichen Republikaner und der radikale Front National fordern eine viel schärfere Reaktion des Staates auf die jüngsten Anschläge. Der Ex-Präsident und heutige Republikaner-Chef Nicolas Sarkozy verlangte von der Regierung Aufklärung darüber, warum einer der beiden Attentäter vom Dienstag mit einer elektronischen Fessel freigelassen wurde - er wollte nach Syrien in den Krieg ziehen und saß deshalb in Frankreich in Untersuchungshaft. Sarkozy forderte, Menschen vorbeugend unter Arrest zu stellen, die als mögliche Gefährder in der sogenannten Datei S aufgeführt sind. Die Regierung lehnte dies als rechtswidrig ab. "Wir können nicht den Rechtsstaat verletzen, um den Rechtsstaat zu schützen", sagte der Innenminister.

Einig waren sich Politiker verschiedener Couleur in der Einschätzung, ihr Land befinde sich "im Krieg", es drohe in Frankreich ein "Religionskrieg" oder gar ein "Dritter Weltkrieg". Die Medien debattierten darüber, ob sie die Fotos und komplette Namen von Attentätern veröffentlichen sollten. Die Zeitungen La Croix und Le Monde sowie der Nachrichtensender BFMTV entschieden sich, keine Bilder mehr von Terroristen zu zeigen. So soll vermieden werden, dass andere Extremisten sie posthum verherrlichen.

© SZ vom 28.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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