Frankreich:Protest der Polizisten

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Beamte kritisieren den angeblich zu laxen Strafvollzug, der die Polizisten kriminellen Gewalttätern "schutzlos" ausliefere. Der Protest konzentriert sich auf die linke Justizministerin Taubira.

Von Christian Wernicke, Paris

Die Ordnungshüter sind in Zivil gekommen, um das politische Zentrum von Frankreichs Hauptstadt aufzumischen: Mehrere Tausend Polizisten und Kriminalbeamte protestierten am Dienstag gegen die sozialistische Regierung und den Kurs der linken Justizministerin Christiane Taubira. Auf der Place Vendôme, direkt unter Taubiras Amtssitz, protestierten die Beamten lautstark gegen die angeblich zu laxen Regeln des Strafvollzugs im Land: Weil verurteilte Straftäter zu oft und zu früh freikämen, sei die Polizei "schutzlos" krimineller Gewalt ausgeliefert. Premier Manuel Valls stellte sich zwar vor seine Ministerin. Zugleich versprach er den Polizisten mehr Schutz durch neue Regeln bei Einsätzen und Verhören. Auslöser für die Proteste war ein Schusswechsel am Montag voriger Woche. Im Norden von Paris wurde ein Polizist in den Kopf getroffen, als er einen vorbestraften Serienverbrecher festnehmen wollte, der von einem Hafturlaub im Mai nicht zurückgekehrt war. Der Täter, der sich zudem im Knast zu einem bekennenden Islamisten radikalisiert haben soll, war auch vom Inlandsgeheimdienst als gefährlich eingestuft worden. Er wurde bei der Schießerei getötet, der verletzte Polizist schwebt seither in Lebensgefahr.

Die Ministerin will überfüllte Gefängnisse entlasten, doch Polizisten sind erzürnt

Die Polizisten bemängeln seit Jahren, dass Strafrichter und für Haftprüfverfahren zuständige Magistrate zu großzügig entscheiden würden. Auf Plakaten beklagten sie am Dienstag einen "Bruch zwischen Justiz und Polizei". Justizministerin Taubira, als prominente Linke im Pariser Kabinett das bevorzugte Ziel für Attacken der konservativen Opposition, hat mit mehreren Reformen zusätzlich den Zorn der Polizisten auf sich gezogen. Sie schuf bisherige Mindeststrafen ab, die vor allem junge Kleinkriminelle trafen. Und sie will Frankreichs völlig überfüllte Strafanstalten durch mehr "offenen Vollzug" (elektronische Fesseln, Ausgang unter Auflagen) entlasten. Zuletzt trug Taubira selbst dazu bei, den Zorn gegen sich zu entfachen: Nach der Schießerei vorige Woche schlug sie vor, Sträflinge beim Freigang unter polizeiliche Überwachung zu stellen - ein Vorschlag, den auch Anwälte und Sozialexperten als absurd zurückwiesen. Das Justizministerium versuchte am Dienstag, auf die Proteste mit Zahlen zu reagieren. Die Gefängnisse seien mit 66 864 Insassen voller als beim Amtsantritt von Präsident François Hollande, gleichzeitig sei das durchschnittliche Strafmaß gestiegen: von acht Monaten Haft (2007) auf elf Monate (2013). Zudem sei die Zahl genehmigter Hafturlaube unter Taubira deutlich gesunken.

Bei den Demonstrationen entlud sich auch ein genereller Frust. Viele Beamte sind überlastet, die verschärften Schutzmaßnahmen nach den Attentaten vom Januar 2015 führten zu einer Explosion an Überstunden. Zudem sind viele Polizeistationen miserabel ausgestattet: Überalterte Dienstfahrzeuge, defekte Waffen und Munitionsmangel stehen auf der Mängelliste der Gewerkschaften. Die Regierung versprach nun 233 Millionen Euro mehr Geld. Und Präsident Hollande stellte Polizei-Vertretern einen Termin für nächste Woche in Aussicht.

© SZ vom 15.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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